Greenpeace: Siemens auf heikler Mission in der Westsahara
Die Brisanz der Nachricht stand zwischen den Zeilen. «Siemens ist der Einstieg in den afrikanischen Windenergiemarkt gelungen», jubelte die Konzernführung in einer Pressemitteilung. Für zwei Windkraftwerke in «Marokko» werde das Unternehmen Anlagen liefern. Doch ein Blick auf die Karte zeigt, dass eines der Kraftwerke auf dem Gebiet der Westsahara entstehen soll.

Veröffentlicht 14. Februar 2012


Greenpeace Magazin
Von Karin Finkenzeller, dpa München (dpa)
10. Februar 2012


In das Wüstengebiet marschierte 1975 Marokko ein und hält den größten Teil seither unter Missachtung des Völkerrechts besetzt. Vielfach wurden Sahrauis gefoltert und von marokkanischen Militärgerichten abgeurteilt. Dort tätige Firmen riskieren, Menschenrechte zu verletzten und viel Geld in den Sand zu setzen.

«Die Vereinten Nationen und die meisten Staaten erkennen nicht an, dass sich das marokkanische Staatsgebiet auf die Westsahara erstreckt. Sie bestehen auf der Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Volkes der Westsahara und seiner Vertretung Polisario», gibt Georg Nolte, Völkerrechtler an der Berliner Humboldt-Universität, zu bedenken. «Deshalb wäre Siemens gut beraten, das Einverständnis der Polisario zu dem Projekt einzuholen.»

Diese Forderung steht auch in den Richtlinien für die Vereinbarung von Unternehmensaktivitäten und Menschenrechten, die die Vereinten Nationen 2011 nach jahrelangen Beratungen mit Staaten, Unternehmen und Menschenrechtsorganisationen verabschiedeten. Demnach sind Unternehmen aufgerufen, insbesondere in Konfliktfällen eine «menschenrechtliche Risikoanalyse» zu machen.

Siemens gehört zudem seit 2003 zu den weltweit inzwischen mehr als 7000 Unterzeichnern des UN Global Compact. Die ersten beiden der insgesamt zehn Prinzipien verlangen von den Unterzeichnern, die international verkündeten Menschenrechte zu respektieren und ihre Einhaltung innerhalb ihrer Einflusssphäre zu fördern sowie sicher zu stellen, dass sie nicht bei Menschenrechtsverletzungen mitwirken.

Doch die Verlockungen sind groß. Angehörige der UN-Mission Minurso, die seit 1991 unter Mühen versuchen, den damals geschlossenen Waffenstillstand zwischen Marokko und der Polisario aufrechtzuerhalten, nennen die West-Sahara lakonisch «unsere große Sandkiste». Doch in dem Gebiet zwischen Marokko im Norden, Mauretanien im Süden, Algerien im Osten und dem Atlantik im Westen schlummern große Phosphatressourcen. Vor der Küste gibt es reiche Fischvorkommen, womöglich auch Öl, und auf Windkarten wird die Westsahara als eines der besten Gebiete für Windparks weltweit ausgewiesen.

«Ich würde Siemens nicht empfehlen, das Projekt unter den gegenwärtigen Umständen weiter zu verfolgen», sagt Thilo Marauhn, Völkerrechtler an der Universität Gießen. Unabhängig von der rechtlichen Beurteilung sei es in «höchstem Maße problematisch, dass das Unternehmen in seinen Verlautbarungen die Terminologie der Besatzungsmacht übernimmt und nicht auf den besonderen Status der Westsahara eingeht.» Auf Anfrage sagte eine Siemens-Sprecherin: «Der Kunde bestimmt, wo die Kraftwerke entstehen.»

«Windkraftanlagen nutzen natürliche Ressourcen, auch wenn sie sie nicht vermindern. Eine Errichtung solcher Anlagen könnte von der Weltgemeinschaft und Polisario als eine Verfestigung der Besetzung des Gebiets durch Marokko betrachtet werden», erklärt Völkerrechtler Nolte das Dilemma. «Andererseits könnten andere Staaten und Polisario das Projekt unter bestimmten Bedingungen aber auch als willkommene Entwicklung ansehen.» Dazu aber müsste man deren Meinung kennen. Siemens nahm nicht zu der Frage Stellung, ob Konzernmitglieder Rücksprache mit der Polisario hielten.

Als «zumindest dilettantisch» bezeichnet Ulrich Delius, Afrika-Referent bei der Gesellschaft für bedrohte Völker, das Vorgehen des Konzerns. Wenn Unternehmen schon ihren geschäftlichen Interessen Vorrang geben wollten, sollten sie wissen, «dass es alles andere als sicher ist, dass der Waffenstillstand in der Westsahara noch länger als ein paar Monate hält». Bei den Sahrauis schwindet nach 20 Jahren UN-Mandat die Hoffnung, dass sie ohne Anwendung von Gewalt jemals frei über ihr Schicksal bestimmen dürfen. Marokko will allenfalls eine Autonomieregelung unter seiner Staatsmacht dulden.

Mit Verweis auf den Westsahara-Konflikt hatte erst im Dezember das EU-Parlament die Verlängerung des Fischereiabkommens zwischen der EU und Marokko abgelehnt. Das Abkommen hatte auch die Küste der Westsahara «eingemeindet». Mehrere Ölfirmen gaben Explorationsvorhaben wieder auf. Auf internationalen Druck schloss auch die Desertec-Industrie-Initiative, die im Maghreb erneuerbare Energien für die Lieferung nach Europa fördern will, jegliche Projekte in der Westsahara aus.
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