Wind, Sand und "meer" - Die Plünderung der Westsahara
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Wie die Westsahara, die letzte Kolonie Afrikas, skrupellos ausgeplündert wird.

Veröffentlicht 08. September 2013

von Axel Goldau
KRITISCHE Ökologie - Zeitschrift für Umwelt und Entwicklung
Nr. 79 Ausgabe 27 [2] - Winter 2012/13
http://www.schattenblick.de/infopool/umwelt/internat/uirs0031.html

Ganz im Westen des Maghreb, des arabischen Westens, liegt umgrenzt von Algerien, Marokko und Mauretanien sowie dem Atlantischen Ozean die letzte Kolonie Afrikas, die Westsahara. Während der Berliner Konferenz 1984/85 wurde das Territorium zwischen dem Wadi Draa im Norden und 21°14' nördliche Breite im Süden Spanien zugesprochen, umgeben vom französischen Kolonial-Interessensgebiet. Nachdem Spanien mit Hilfe Frankreichs und Unterstützung durch das gerade unabhängig gewordene Königreich Marokko den Freiheitswillen der saharauischen und marokkanischen Bevölkerung gewaltsam unterdrücken konnte, trat Spanien 1958 das als "Spanisch Marokko" bezeichnete Territorium zwischen dem Wadi Draa und dem 21°40' nördlicher Breite an Marokko ab (MALAININ 2012): Die Westsahara, ein Territorium von 265.000 qkm, wurde zur spanischen Provinz erklärt, deren einzige natürliche Grenze von der etwa 1.062 km langen Atlantikküste im Westen gebildet wird (BRENNEISEN 1985).

Mit dem Beginn des 21. Jahrhunderts ist die Westsahara noch immer eine Kolonie, und zwar die letzte auf afrikanischem Boden. Die alten Kolonialherren sind gegangen; neue sind gekommen: Heute kontrolliert das Königreich Marokko etwa zwei Drittel des Territoriums, samt der über 1.000 km langen Atlantikküste und die vorgelagerte See. Ein Drittel des Landes ist mit einem Wallsystem von etwa 2.700 km Länge, über 65.000 Soldaten und modernster Tötungstechnik vom besetzten Teil "abgeschirmt" (s. Abb. 2). Ebenso wie die alte Kolonialmacht hat Marokko das Land zu eigenen "Südprovinzen" erklärt und neue Verwaltungsregionen geschaffen: Oued ed Dahab-Lagouira im Süden, Laâyoune-Boujdour im Nordwesten und Guelmim-Es Semara im Nordosten. Die beiden letzten Regionen sind grenzübergreifend; sie fassen Gebiete der Westsahara mit denen des Königreichs Marokko zusammen - eines der vielen Verstöße gegen die Charta der Vereinten Nationen, die allerdings bisher alle ungesühnt geblieben sind.

Sowohl gegen die alte als auch gegen die neue Kolonialmacht leisten die Saharauis, die autochthone Bevölkerung, Widerstand, der sowohl durch das alte früher als auch durch das neue Kolonialregime heute versucht wird, gewaltsam zu brechen: Einen vorläufigen Höhepunkt erreichte der Protest mit dem Lager Gdeim Izik in der Nähe der Landeshauptstadt El Aiún, wo geschätzte 20.000 Saharauis gegen ihre soziale, kulturelle und wirtschaftliche Diskriminierung protestierten, bis sie von marokkanischen Besatzungstruppen gewaltsam vertrieben wurden (GOLDAU & SMAJDLI 2012). Für Noam Chomsky nahm hier der arabische Frühling seinen Anfang (Sendung: Democracy Now, Febr. 2011).

Vom modernen Kolonialismus zum Ressourcenkonflikt
Als König Hassan II 1975 die Besetzung der Westsahara vorantrieb, folgte er vor allem innenpolitischen Motiven: Nach zwei Putschversuchen seiner Armee, die er wie durch ein Wunder überlebte, befand sich die Monarchie bedrohlich nahe am Abgrund. Mit dem Überfall der Westsahara konnte er zum einen seine Armee weit ab vom Serail beschäftigen und sich zum anderen von seiner verarmten Bevölkerung als Nationalhelden feiern lassen, der "heim holte", was nie "heim" war: Das eindeutige Votum des Internationalen Gerichtshofs von 1975, der zu keinem Zeitpunkt irgendwelche politischen Bindungen der Westsahara an das marokkanische Sultanat erkennen konnte, interessierte ihn nicht. Der langandauernde verlustreiche Krieg, die Kosten für die Kolonialverwaltung und ebenso kostspielige Ansiedelungen von Marokkanerinnen und Marokkanern in den besetzten Gebieten verschlangen Unsummen und ließen die Staatsverschuldung rapide anwachsen. Diesen Kolonialkonflikt, aus dem sich die klassischen Kolonialmächte, Spanien und Frankreich, "in die zweite Reihe" zurückgezogen haben und die Drecksarbeit der vorher von ihnen kolonisierten Regionalmacht, dem Königreich Marokko, überließen, bezeichne ich als modernen Kolonialismus (GOLDAU 2010a).

Mittlerweile erreichen die Einnahmen aus dem Ausverkauf der Ressourcen der Saharakolonie beträchtliche Ausmaße, sodass sich die "Investitionskosten" für den Angriffskrieg, die brutale Vertreibung und/oder Unterdrückung und deren Marginalisierung im eigenen Land allmählich zu rentieren scheinen: Immer mehr Akteure drängen sich um die Verteilung der Schätze, die sowohl im Wüstenboden als auch vor der Küste im Meer und unter dem Meeresboden mit Sicherheit vorhanden sind: Aus dem modernen Kolonialkonflikt, der zunächst vor allem dem politischen Überleben des marokkanischen Königs diente, ist längst ein Ressourcenkonflikt zwischen immer mehr Akteuren und der rechtlichen Eigentümerin, der saharauischen Bevölkerung, geworden, die nie gefragt oder gar an den Gewinnen beteiligt worden ist.

Diese "Rentabilität" einervölkerrechtswidrigen Besatzung in Kombination mit den massivsten Menschenrechtsverletzungen auf der Welt kann allerdings nur erreicht werden, wenn sich Käufer für gestohlene Produkte aus der Westsahara finden. Welcher Art diese Produkte und wer die Käufer sind, werde ich in diesem Titelthema an einigen Beispielen verfolgen. Ich werde mich dabei vor allem auf Deutschland konzentrieren.

Wind
Je deutlicher sich das Ende fossiler Energieträger abzeichnet, desto größer wird die Suche nach alternativen Energien, wobei natürliche Energien aus Sonne und Wind zunächst vielsprechend wirken. "Wind" steht in der Betrachtung hier für Energiegewinnung aus der Natur auf nicht-fossiler Basis. Spätestens seit der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (United Nations Conference on Environment and Development: UNCED) 1992 ist es kein Geheimnis mehr, dass der pro Kopf-Energie-Verbrauch in unserer Welt außerordentlich ungerecht verteilt ist:

Spitzenreiter ist Kanada mit 11.468 kg Steinkohleeinheiten pro Kopf für 1999, dicht gefolgt von den USA; den letzten Platz in dieser Tabelle belegt die zentralafrikanische Republik Tschad mit nur 8 kg Steinkohleeinheiten pro Kopf; Deutschland lag 1999 bei 5.450 hinter Frankreich und knapp vor dem Vereinigten Königreich (Angaben nach http://www.welt-auf-einen-blick.de/energie/index.php: zuletzt gesichtet am 27.12.2012).

Energie-Gerechtigkeit ist aber kein zentrales Thema der Debatten um den Umstieg auf neue Energiequellen: Weder soll die "heilige Kuh" der überhöhten Bereitstellung von Energie geschlachtet, noch soll das kapitalistische System der Energiemärkte angerührt werden:(1) Und was macht man dann in einer kapitalistischen Gesellschaft mit kolonialimperialistischer Vergangenheit? Man hält Ausschau nach anderen Regionen und deren Ressourcen-Potentialen, die es dann - aus postkolonialer Sicht - zu "entwickeln" gilt: Und das macht dann auch vor der letzten Kolonie Afrikas, der Westsahara, keinen Halt!

So hat es auch gar nicht lange auf sich warten lassen, dass die riesigen Wind-Energie-Potentiale - vor allem an der Atlantikküste Nordwestafrikas - von Energieplanern "entdeckt" wurden. Als einer dieser "Entdecker" kann der Kasseler Ingenieur Gregor CZISCH bezeichnet werden, dem hier allerdings keinerlei neokolonial-imperialistische Motive unterstellt werden sollen. Vor dem Hintergrund immer knapper und teurer werdender fossiler Energieträger und dem rasant voranschreitenden Klimawandel hat CZISCH nach Möglichkeiten einer weitgehend Kohlenstoffdioxid neutralen Stromversorgung für Gesamt-Europa und die MENA (Middle East & North Africa)-Region, ein Szenariogebiet mit etwa 1,1 Mrd. Menschen und einem Stromverbrauch von knapp 4.000 TWh/a, gesucht. Der Vorteil dieses CZISCH-Konzeptes besteht zweifelsfrei einmal darin, dass die Zielsetzung eine Kohlenstoffdioxid neutrale Bereitstellung elektrischer Energie für eine Großregion ist und damit konstruktive Wege zum Absenken von Klimagasen aufgezeigt werden, zum anderen, dass dies auf der Grundlage vorhandener Techniken und Technologie geschieht. Der Nachteil allerdings besteht darin, dass sich die aufgezeigten Szenarien auf technische und wirtschaftliche Sichtweisen beschränken und die politischen Realitäten, wie etwa die andauernde völkerrechtswidrige Besetzung großer Teile der Westsahara ignorieren (CZISCH 2005).

Bereits im Mai 2002 präsentierte der deutsche Physiker Gerhard Knies an der Universität im nordmarokkanischen Tetouan ein riesiges Energiekonzept, das vor allem auf die Erzeugung von solarem Wüstenstrom in der Sahara setzte und später unter dem Namen DESERTEC durch die Medien geisterte. Schon ein Jahr darauf gelang es Knies, den CLUB OF ROME für diese Idee zu begeistern, der öffnete die Türen zur MÜNCHNER RÜCKVERSICHERUNG (MUNICH RE). Ende 2008 fand die Gründungsversammlung der DESERTEC-Foundation, dem "idealistischen Teil" des riesigen Energieprojektes, statt. Und schon ein Jahr darauf fand auf Einladung des CLUB OF ROME und der MUNICH RE die Gründungsversammlung der DESERTEC INDUSTRIAL INITIATIVE (DII) statt (s. http://www.desertec.org: zuletzt gesichtet am 28.12.i2), wo sich vor allem die ganz Großen aus der deutschen Energie- und Finanzwirtschaft wie ABB, DEUTSCHE BANK, EON, RWE, SIEMENS etc. tummeln.

In Deutschland wurde dieses Vorhaben intensiv und kontrovers diskutiert, wobei sich sowohl Befürwortende als auch Ablehnende in sämtlichen politischen Lagern fanden. Prof. Jacob Emmanuel Mabe, der an der TU Berlin interkulturelle Philosophie lehrt und bereits 1992 die Idee von solarthermischen Kraftwerken in der Sahara zur Stromversorgung zweier Kontinente, nämlich Afrika und Europa, artikuliert hatte, wirft dem DESERTEC-Vorhaben Eurozentrismus, ja sogar einen germanozentristischen Diskurs vor (KRIENER 2009).

Wie gewonnen, so zerronnen
Doch trotz der öffentlichen Förderung war das Superprojekt so schnell, wie es in den Sandkastenspielplätzen vor allem der deutschen Energie- und Finanzwirtschaft entstanden - und von ihr hörigen Medien gehörig bejubelt - war, so schnell war es - zumindest in seiner wahrhaft grenzenlosen Dimension (s. Abb. 3) auch bald wieder zerronnen. Und dabei hatte doch alles so schön angefangen: Mit der Zweiteilung - idealistische Stiftung hier, Industrie-Initiative dort - sollten in großem Umfang öffentliche Gelder abgegriffen werden - wie das bei maßlosen Großprojekten ebenso üblich ist (DEVALPO 2012). Schon im Februar 2010 berief die MUNICH RE, eine der Protagonisten für DESERTEC, die kurz zuvor ausgeschiedene EU-Kommissarin für Außenbeziehungen und europäische Nachbarschaftspolitik, die österreichische konservative Politikerin Benita Ferrero-Waldner, in den Aufsichtsrat (www.euractiv.de vom 17. Februar 2010: zuletzt gesichtet am 28.12.12). Damit war der MUNICH RE ein geradezu genialer Coup geglückt; denn die politische Begleitung von DESERTEC fand unter Federführung des Kommissariats statt, dem Frau Ferrero-Waldner noch bis zum 02. Februar 2010 vorstand!

Gar nicht ins Konzept passte die Beseitigung der "Stabilitätsgaranten", der Diktatoren in Tunesien und Ägypten, durch den arabischen Frühling und der NATO-Krieg gegen Libyen mit seinen seither nicht mehr kontrollierbaren Folgen. Im Gegensatz zu Gregor GZISCHs Konzept (2005), der vorhandene und technisch ausgereifte Technologie zugrundelegte, baute DESERTEC Luftschlösser aus nicht ausgereifter und finanziell nicht kalkulierbarer Solartherme-Technik. Gegen Ende des Jahres gab SIEMENS seinen Ausstieg aus DESERTEC bekannt, dem bald darauf auch BOSCH folgte (www.finanzen.net vom 12.11.12: zuletzt gesichtet am 28.12.12). Und auch eine kleinere Version, die sich auf die EU und das Königreich Marokko beschränken sollte, kommt nicht voran, weil Spanien es wohl vorzieht, weiterhin Strom nach Marokko zu exportieren, als Wüstenstrom zu importieren.

Nach wie vor aber bastelt Marokko an einem "eigenen" Solar- und Windkraftplan, der auch tatkräftige Unterstützung findet. u.a. von der deutschen Bundesregierung (Pressemitteilung des Auswärtiges Amtes vom 17.05.2011), die sich überhaupt nicht daran stört, dass gar nicht alles "Marokko" ist, was Marokko "Marokko" nennt - nämlich an der Einbeziehung der besetzten Teile der Westsahara (s. Abb. 4). Bundesaußenminister Westerwelle hat es genau auf den Punkt gebracht. Bei seinem Besuch am 15. November 2010 in Rabat wird der deutsche Außerminister mit diesen Worten zitiert: "Deutschland und Marokko haben exzellente Beziehungen. (...) Unser Ziel ist eine strategische Energiepartnerschaft mit Marokko. Marokko ist Vorreiter bei den erneuerbaren Energien in Nordafrika, wir haben die Technologien, deswegen sind wir hervorragende Partner." Über Ereignisse, die die Harmonie stören könnten, wie die gewaltsame Räumung des saharauischen Protestlagers Gdeim Izik nur sieben Tage oder die gewaltsame Ausweisung der deutschen Bundestags-Abgeordneten, Sevim Dagdelen, aus El Aiún sogar nur zwei Tage vor dem Staatsbesuch, wird lieber erst gar nicht gesprochen (Hintergründe über diesen Staatsbesuch: s. GOLDAU 2010b).

Trotz aller Beteuerungen der Förderung von Demokratie und Menschenrechten in der unmittelbaren Nachbarschaft der EU geht es sowohl der Kommission im Rahmen ihrer "Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP)" als auch der deutschen Bundesregierung bei ihrer bilateralen Energiepartnerschaft vor allem um die Ausweitung ihrer Macht- und Einflusssphäre bzw. um lukrative Aufträge für die deutsche Exportwirtschaft (WAGNER 2012). Völkerrecht, Menschenrechte - alles kein Problem: Am 3. Juli 2012 unterzeichneten die Bundesrepublik Deutschland und das Königreich Marokko die "Gemeinsame Absichtserklärung über die Errichtung einer Energiepartnerschaft" in Berlin.

Anfang 2012 verkündete der CEO der DIVISION WIND POWER bei SIEMENS ENERGY, Felix Ferlemann, öffentlich die Erfolgsmeldung, SIEMENS sei der Einstieg in den afrikanischen Windenergiemarkt gelungen. Für zwei geplante Windenergiekraftwerke "in Marokko" würde SIEMENS die Lieferung, Installation und Inbetriebnahme von 44 Windenergieanlagen mit einer Leistung von insgesamt über 100 Megawatt übernehmen. Die Anlagen sollen bereits 2013 in Betrieb geben. Zu dumm nur, dass sich einer der beiden Standorte, Foum El Qued, gar nicht in Marokko, sondern im Norden der besetzen Westsahara, nahe der Hauptstadt des Landes El Aiún befindet.

Auftraggeber ist die staatliche Holding NAREVA, an der - wie bei allen marokkanischen Großunternehmen - die königliche Familie erhebliche Anteile hält. Großprojekte dienen vor allem der Förderung von Korruption: Unter Vater König Hassan II wurde "... die Korruption (...) wesentlicher Bestandteil seiner Art zu regieren" (PERRAULT 1992: 145), und SIEMENS brauchte drei Jahre, um sich vom Image des korruptionsdurchfressenen Molochs zu befreien (SCHÄFER 2010).

Bis Redaktionsschluss war zunächst keine Klarheit über den Projektstand zu ermitteln. Ein Projektantrag beim Clean Development Mechanism (CDM) des Rahmenübereinkommens der Vereinten Nationen über Klimaänderungen (United Nations Framework Convention on Climate Change, UNFCCC), wonach Gelder aus dem "Handel mit Verschmutzungsrechten" ins Projekt fließen können, lag bei Redaktionsschluss noch nicht in verifizierbarer Form vor.

Statt überdimensionierter Großprojekte, die vor allem Großindustriellen und der königlichen Familie zugutekommen und unter Generalverdacht der Korruptionsförderung stehen, könnten dezentrale Energieprojekte mit Perspektiven für den Aufbau einer eigenen entsprechenden Energie-Industrie sehr wohl bald friedensfördernde und klimapolitisch sinnvolle Früchte tragen. Wie eine dezentrale Energieversorgung unter den gegebenen Bedingungen aussehen könnte, haben die Saharauis in den algerischen Flüchtlingslagern längst gezeigt (Abb. 5). Für eine eigene Energieversorgung aus erneuerbaren Energiequellen hatte BRENNEISEN (1985) bereits eine Palette an Möglichkeiten genannt, die neben den "Klassikern" wie Sonne und Wind durch Hydro-Solarenergie, die Wärmenutzung des Meeres sowie Gezeitenenergie Perspektiven einer regionalen, dezentralen, dauerhaften Energieversorgung eröffnen.

... Sand ...
Am 5. Oktober 2011 gönnte sich eine Gruppe saharauischer und spanischer Protestierender einen Badespaß um das Schiff "Dura Bulk" (IMO: 732 5461) im Hafen von Teneriffa (Abb. 6). Den Hafenbehörden machte dies keine Freude und sie verhängte Strafbefehle über 60.000 Euro gegen jedeN der Protestierenden, weil sie durch ihr Badevergnügen die Löscharbeiten des Schiffes behindert hätten. Aber genau dies war das Ziel der Aktion: Die "Dura Bulk" hatte nämlich gestohlenen Sand aus der Westsahara geladen) der für eine Zementfabrik im Hafengebiet bestimmt war. Die Protestierenden kamen dieser Zahlungsaufforderung nicht nach, auch dann nicht, als die Hafenbehörde am 11. April 2012 die Strafbefehle auf 90 Euro abmilderte; denn aus Sicht der Protestierenden dürfe die Hafenbehörde nicht gegen sie, sondern müsse gegen den Reeder und die Besatzung der "Dura Bulk" vorgehen - wegen des Transportes gestohlenen Gutes, also Hehlerware.

Die "Dura Bulk" ist keinesfalls das einzige Schiff, das mit gestohlenem Sand aus der Westsahara an den Kanarischen Inseln festmachte. Western Sahara Resource Watch (WSRW) hat eine Reihe von Schiffen und deren Abnehmer recherchiert, die gestohlenen Sand transportieren bzw. bestellt haben (www.wsrw.org/ vom 16.06.12 - span. Version).

Diese Verwaltungspraxis - Einfuhren gestohlener Güter stillschweigend zu akzeptieren, aber Proteste gegen illegale Einfuhren zu kriminalisieren - spiegelt im Großen und Ganzen die Realität europäischer Nachbarschaftspolitik wider: Einerseits wagt es die EU [noch] nicht, offen den Dekolonisationsauftrag der Vereinten Nationen - und damit den Umgang mit "nicht-selbstständig regierten Gebieten" wie die Westsahara (lt. Magna Charta der Entkolonialisierung der Vereinten Nationen vom 14. Dezember 1960) infrage zu stellen; andererseits unternimmt sie überhaupt nichts, um den Menschen der Westsahara zu ihrem Selbstbestimmungsrecht zu verhelfen. Im Gegenteil - die EU unterstützt aktiv die Ressourcen-Plünderung der Westsahara zugunsten des marokkanischen Besatzungsregimes, allen voran des marokkanischen Königshauses, an dem sie als "regionalen Stabilitätsfaktor" nach dem Wegbrechen von Ex-Freunden wie Ben Alf (Tunesien) und Mubarak (Ägypten) jetzt erst recht festhalten will.

Und König und Königshaus lassen es sich mit der Besetzung der Westsahara so richtig gut gehen: Aufgrund der wirtschaftlichen Dominanz des marokkanischen Königshauses und dessen unmittelbarer Umgebung fließen die Gewinne aus dem Rohstoffe-Verkauf in erheblichem Maße direkt in die privaten Taschen des Königs - z. Zt. Mohamed VI.(2) Während die Einkünfte der meisten königlichen Familien in jüngster Zeit eher zurückgingen, konnte König Mohamed VI von Marokko, der sich lt. Forbes Magazin den Unterhalt seiner zwölf Paläste täglich durchschnittlich eine Million US-$ kosten lässt, sein privates Jahres-Einkommen von einer Milliarde US-$ auf 2,5 Milliarden mehr als verdoppeln. PENDLETON (2009) führt diesen enormen Zuwachs vor allem auf den Verkauf von Phosphat, von dem wiederum ein erheblicher Teil aus der besetzten Westsahara stammt, zurück.

Bei der Aufteilung Afrikas während der Berliner Konferenz 1884/85 hatte niemand auch nur einen Hauch einer Ahnung von den Phosphat-Schätzen im Saguiat al Hamra, im nördlichen Teil der Westsahara, sonst hätte Frankreich den Phosphat-Felsen wie den Eisenberg von Zouérat (s. Abb. 2) ebenso niemals den Spaniern überlassen. Erst 1947 sind die beiden Geologen Alia und José Medina während ihrer privaten Exkursionen eher zufällig auf die Phosphat-Schätze der "Sahara-Provinzen" aufmerksam geworden. Insgesamt wurden sechs Vorkommen identifiziert, von denen das Vorkommen bei Bu Craa im Norden des Landes ca. 100 km südöstlich der Landeshauptstadt El Aiún am bedeutendsten ist.

Das Phosphat von Bu Craa liegt als Phosphorit vor, einem marinen Sedimentgestein aus der Oberen Kreide und dem Paläozän. Das Gestein zeichnet sich durch einen hohen Anteil an Diphosphorpentoxid P2O5 aus, das mit Hilfe von Meerwasser zu wasserunlöslichem und damit transportfähigen Tricalziumphosphat Ca3(PO4)2, umgewandelt wird. Weil Wasser in der Wüste bei Bu Craa nicht ausreichend vorhanden ist, muss das Rohmaterial zunächst über 100 km zur El Aiún Playa transportiert werden: Hierfür errichtete die FRIEDRICH KRUPP GMBH zusammen mit der CONTINENTAL-GUMMI-WERKE AG das über 100 km lange Förderband durch die Wüste vom Phosphat-Felsen Bu Craa bis zum Hafen von El Aiún - deutsche Wertarbeit (BRENNEISEN 1985). Neuerdings allerdings scheint Bedarf an Neuerungen zu bestehen: Ob die THYSSENKRUPP AG als Nachfolgerin der FRIEDRICH KRUPP GMBH - jetzt den neuen Kolonialherren hier behilflich sein wird, konnte bis Redaktionsschluss nicht verifiziert werden.

Ansonsten ist die deutsche Beteiligung am Phosphat-Diebstahl aus der Saharakolonie eher verhalten: Unter den 22 größten Düngemittelherstellern befinden sich ohnehin nur zwei deutsche Unternehmen, BASF-Agrarzentrum Limburgerhof und die SKW Stickstoffwerke Piesteritz GmbH (http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:D%C3%BCngemittelhersteller: letzte Sichtung am 30.12.12), von denen bisher nur die BASF als Phosphat-Importeur 2008 und 2010 unangenehm aufgefallen ist, weil sie auch noch die Illegalität dieser Importe hartnäckig leugnet (www.wsrw.org - engl. Version).

Auch beim Transport geraubter Güter - wie etwa Phosphat - spielen deutsche Reeder eher eine untergeordnete Rolle, befinden sich jedoch aber durchaus mit "im Boot".

Ein Schiff wird kommen!
Wahrscheinlich mal wieder schneller als diese Kritische Ökologie erscheint, wird das deutsche Schiff "Hollum" (IMO: 9454216: s. Abb. 7) bei El Aiún ankern und höchst wahrscheinlich dort Phosphat aufnehmen. Am 29.12.12 befand sich das Schiff bereits im Atlantik südlich von Portugal (http://www.marinetraffic.com). Die "Hollum" befindet sich im Besitz der deutschen Reederei BRIESE in Leer und ist auf Antigua und Barbuda ausgeflaggt.

Woher nehmen, wenn nicht stehlen?
Diese Frage stellte sich im harten und langandauernden Winter 2010 vielerorts in Deutschland: Die Streusalz-Vorräte waren zur Neige gegangen, sodass Winterdienste eingeschränkt und neue Quellen erschlossen werden mussten. Damals kaufte man in Deutschland Salz aus Chile nach. Aber in den nächsten kalten Wintern, könnte auch in Deutschland gestohlenes Salz aus der Westsahara als Hehlerware zum Einsatz kommen; denn das Unternehmen CRYSTAL MOUNTAIN mit Stammsitz in Austin, Texas/USA gibt auf seiner Internetseite http://selsahara.com/ eine neue Niederlassung in der Tarfaya Provinz / Marokko bekannt, wo das Unternehmen natürlich eingedampftes Salz in höchster Qualität herstellen lässt (s. Abb. 8), das vor allem als Streusalz, für die Landwirtschaft und für die fischverarbeitende Industrie angepriesen wird. Verschifft werde das Salz vom "marokkanischen Hafen Laâyoune".

Dies rief Western Sahara Resource Watch auf den Plan, denn der Verschiffungshafen befindet sich eben nicht in Marokko, sondern in dem von Marokko besetzten Teil der Westsahara. Außerdem heißt der Ort auch nicht "Laâyoune", sondern El Aiún und ist die Hauptstadt der Westsahara. Und tatsächlich befindet sich die neue Salzmine "CRYSTAL MOUNTAIN SEL SAHARA S.A. MINE DE SEL OUM DBAÂ" auch nicht in Marokko (Tarfaya), sondern südlich der Südgrenze des marokkanischen Königreichs in der Westsahara - in etwa auf halber Strecke zwischen der Grenze und El Aiún (Abb. 9: www.wsrw.org, Jan. 2013).

Nach Aussage von Saharauis aus El Aiún wird in der Salzmine rund um die Uhr gearbeitet; die Angestellten seien durchweg marokkanische Siedler. Salz, das in Sebkhas (Salzpfannen: s. Abb. 10) abgebaut wurde, war bereits im Mittelalter ein wichtiges Transportgut auf transsaharischen Handelswegen bis tief ins subsaharische Afrika. Für die harte Arbeit wurden schwarze Arbeitssklaven eingesetzt. Darüber hinaus entwickelten sich in der Bucht von Dakhla seit den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Salzgärten zur Meeressalzgewinnung, die eine Jahreshöchstproduktion von bis zu 3000 Tonnen erreichten. Salz ist heute in der Westsahara zur Genüge vorhanden (BRENNEISEN 1985); die Saharauis backen bewusst ein außerordentlich salzarmes "Nomadenbrot" (s. Abb. 11), weil sie meinen, ohnehin genug Salz aufzunehmen.

... und "meer"!
Schon zur spanischen Kolonialzeit hat das Meer vor der Küste der Sáhara Español Begehrlichkeiten wegen ihres großen Fischreichtums und anderer essbarer Meerestiere geweckt (zur Ökologie der Westsahara, einschließlich der saharauischen See: s. GOLDAU 1989). Im völkerrechtswidrigen Dreiseitigen Abkommen von Madrid, worin Spanien 1975 die Verwaltungshoheit über die Sáhara Español an die beiden Nachbarstaaten, das Königreich Marokko und die Islamische Republik Mauretanien, abtrat, hatte sich Spanien für die nächsten 12 Jahre Fischfangrechte vor der saharauischen Küste und Anteile von 35 % des Erlöses saharauischer Bodenschätze gesichert (RÖSSEL 1991: p. 177). Marokko war stets bemüht, den Zugang spanischer Fischereiboote in den eigenen und den saharauischen Gewässern als Druckmittel für eine "Marokko freundliche Politik" einzusetzen. Dabei zielte Marokko stets darauf, dass spanische Regierungen eine wohlwollende Haltung gegenüber den marokkanischen Annexionsahsichten der Westsahara einnahmen. Zuweilen wurden auch Konflikte um die beiden spanischen Enklaven, Mellila und Ceuta, an der marokkanischen Mittelmeerküste geschürt, um den Druck auf Spanien zu erhöhen. Mit dem Beitritt Spaniens in die - damals noch - Europäische Gemeinschaft (EG) kam es zu keinen bilateralen Verhandlungen zwischen den beiden Königreichen mehr, sondern Marokko musste sich mit der viel gewichtigeren Gemeinschaft auseinandersetzen. Jetzt lag es Marokko vor allem daran, möglichst hohe Kompensationszahlungen und die Förderung beim Aufbau einer eigenen Fischerei-Industrie von der Gemeinschaft zu erzielen (HINZE 2003), deren Gewinne - gemäß der marokkanischen Wirtschaftstruktur - zum größten Teil direkt dem Königshauses zuflossen.

So kam es immer wieder zum Aussetzen von Fischerei-Lizenzen, die zu etwa 90 % ohnehin der spanischen Industrie-Fischfangflotte zugutekamen. Als im November 2002 innerhalb der spanischen Biskaya der sog. Tanker Prestige auseinanderbrach und sein schwarzes Gift in das Meer spuckte, wusste König Mohamed VI die Gunst der Stunde zu nutzen: Er spielte für die galizischen Fischer den Weihnachtsmann, indem er ihnen "großzügig" anbot, die Küste der Saharakolonie abfischen zu dürfen. So konnte er der spanischen Öffentlichkeit deren Abhängigkeit von seinem Wohlwollen deutlich vor Augen führen und den innenpolitischen Druck für ein neues Fischerei-Partnerschaftsabkommen erhöhen (GOLDAU 2003).

Diese Abhängigkeit hat die EG, später EU, selbst verschuldet: Mit gewaltigen Subventionen hat sie vor allem in Spanien einen industriellen Fischereisektor aufgebaut, der bereits in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts dazu geführt hat, dass die EU-Meere völlig überfischt sind (MARl 2012). Und mit wiederholter Regelmäßigkeit beschließt der EU-Fischerei-(Minister-)rat Fangquoten, die deutlich über den wissenschaftlichen Empfehlungen liegen - wie gerade Ende Dezember 2012. Das treibt die EU-Fischerei-Flotte hinaus in die große weite Welt mit der Konsequenz, dass auch andere Meere mittlerweile weitestgehend leer gefischt sind. Mit der Verlagerung selbst geschaffener Probleme führen die EU und all die anderen großen Industrie-Fischfangflotten neue Probleme herbei, wie etwa das Erstarken der Piraten-Ökonomie vor Somalias Küste oder lt. Aminatou Haidar die Verschärfung der Unterdrückung der saharauischen Bevölkerung durch Marokko in den besetzten Teilen der Westsahara.

Am 14. Dezember 2011 ereignete sich im Europäischen Parlament etwas, was fast einer kleinen Palastrevolution gleichkam: Eine zwar knappe Mehrheit von Abgeordneten stimmte mit 326 zu 296 Stimmen bei 58 Enthaltungen das Protokoll zum laufenden Fischereipartnerschaftsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko nieder. Erfreulicherweise fand sich unter den 99 deutschen Mitgliedern des Europäischen Parlaments (MdEP) eine deutliche Mehrheit von 76 ablehnenden Stimmen: Dies durchzog alle Faktionen!

Einige Abgeordnete waren erheblich über die Kommission verärgert, weil sie versuchte, eine von ihr in Auftrag gegebene Evaluierungsstudie durch das französische Consulting Unternehmen OCEANIC DEVELOPPEMENT lange zurückzuhalten. Wer die Studie dann schließlich doch liest, kann das Verhalten der Kommission nachvollziehen, denn "dieses Abkommen [habe] ... zu einem riesigen finanziellen Verlust für die Europäische Union und ... zur Zerstörung der marinen Umwelt der Westsahara geführt" (www.wsrw.org vom 3. März 2012; dort kann auch die Studie eingesehen werden). Ausschlaggebend für diese ermutigende Parlamentsentscheidung allerdings war die Tatsache, dass die EU mit diesem Abkommen gegen das Völkerrecht verstößt, weil dieses Abkommen in völligem Widerspruch "zu den Interessen und Wünschen der saharauischen Bevölkerung" steht, ja diese noch nicht einmal nach ihrer Meinung gefragt wurde.

Die Verluste des einen sind die Gewinne des anderen: Wen wundert es, dass das marokkanische Regime auf eine Neuverhandlung dieses aus marokkanischer Sicht äußerst lukrativen Abkommens drängt. Allerdings ist dieses Abkommen auch in Marokko umstritten; denn der neu aufgebaute und modernisierte Fischereisektor fürchtet zu Recht die europäische Konkurrenz.

Marokkos Wünsche wurden in Brüssel erhört: Bereits nach einer Schamfrist von noch nicht einmal einem Jahr nahm die EU-Kommission bereits Anfang November in Rabat erneute Verhandlungen auf; und am 10. Dezember - ausgerechnet am Internationalen Tag der Menschenrechte - folgte schon die zweite Runde in Brüssel. Zeitgleich nahmen die EU-Granden, Barroso, van Rompuy und Schulz, in Oslo den Friedensnobelpreis für die EU entgegen (GOLDAU 2012a). Vor dem Hintergrund der gerne nach außen formulierten Ziele der Demokratieförderung und der Stärkung der Menschenrechte durch die EU kommentierte die Prawda die neuen Fischereiambitionen humorvoll unter dem Titel: Der EU-Tanz mit dem Teufel (BELOV 2012); denn die Russische Föderation hatte am selben Tag einen Fischfangvertrag mit Marokko über die saharauischen Gewässer abgeschlossen (www.wsrwg.org vom 10.12.12 - engl. Version) und ist bereits auf saharauischer See aktiv (www.wsrw.org vom 26.12.12 - engl. Version). Allerdings fehlen der russischen Außenpolitik verbale Bekenntnisse zu Demokratie und Menschenrechten.

... und noch viel mehr!
Anfang des Jahres stimmte dasselbe Europäische Parlament, das noch Ende vorherigen Jahres ein neues Protokoll zum Fischereipartnerschaftsabkommen mit Marokko zu Fall gebracht hatte, einem Freihandelsabkommen über landwirtschaftliche und Fischereierzeugnisse mit Marokko zu, obwohl dieses Abkommen genauso wie das Fischereiabkommen gegen das Völkerrecht verstößt und die Menschenrechte der saharauischen Bevölkerung verletzt. Am 1. Oktober ist dieses Abkommen - genau zum Beginn der landwirtschaftlichen Saison in der Westsahara - in Kraft getreten (www.wsrw.org vom 16.11.12).

Bereits Anfang vorherigen Jahres hat WSRW in einem aktuellen Bericht sowohl das Ausmaß des Gemüseanbaus als auch die Vermarktungswege von "Konflikt-Tomaten" - so heißt auch die entsprechende Broschüre - dokumentiert. Danach konnten im Umkreis von 70 Kilometern um Dakhla im Süden der besetzten Westsahara elf Standorte identifiziert werden. 95 Prozent der dort erzeugten Produkte gelangen üblicherweise über Agadir nach Perpignan in Südfrankreich auf externe Märkte (s. Abb. 12). Auch an dieser Produktion sind die Saharauis nicht beteiligt - und an den Gewinnen schon gar nicht. Die Farmen befinden sich im Besitz der königlichen Familie, marokkanischen Konglomeraten oder französischen Konzernen. Die Arbeitskräfte sind marokkanische Siedler. "Wir Saharauis haben überhaupt nichts von dem marokkanischen Agrarbusiness", beklagt El Mami Amar Salem, Vorsitzender des Komitees gegen Folter in der Westsahara (GOLDAU 2012b).

Dabei verstößt die EU-Kommission auch gegen Verbraucherschutzbestimmungen innerhalb der EU, die eine eindeutige Herkunftskennzeichnung eines Produktes vorschreiben. Da aber jede zweite Tomate "aus Marokko" gar nicht aus Marokko, sondern aus der Westsahara stammt, werden europäische Konsumenten beim Kauf von Agrar- und Fischereiprodukten gezielt getäuscht (s. Abb. 13).

Ausblick
Aus Sicht der Konfliktforschung werden Konfliktlösungen immer schwieriger, je mehr Akteure beteiligt sind. Und dies ist beim letzten Kolonialkonflikt in Afrika um die Westsahara offensichtlich auch intendiert; denn eine ernsthafte Lösung im Sinne der Resolution der Generalversammlung 1514 vom 14. Dezember 1960, wonach

"... in den Treuhandgebieten und Hoheitsgebieten ohne Selbstregierung und allen anderen Gebieten, die noch nicht die Unabhängigkeit erlangt haben, vorbehaltlos und dem frei zum Ausdruck gebrachten Wunsch und Willen der Völker entsprechend sowie ohne Unterschied der Rasse, des Religionsbekenntnisses oder der Hautfarbe, sofort Schritte zu unternehmen sind, um alle Machtbefugnis an die Völker dieser Gebiete zu übertragen, um ihnen die vollständige Unabhängigkeit und Freiheit zu ermöglichen...",

ist weder im Weltsicherheitsrat noch in der EU-Kommission und im Ministerrat zu erkennen. Deutschland hat es während seiner zweijährigen Mitgliedschaft im Weltsicherheitsrat wieder einmal nicht geschafft, entsprechend der Resolution 1514 ein Zeichen zu setzen. Deutschland wurde 2012 erneut in den Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen gewählt. Allerdings hat diese Bundesregierung und alle ihre Vorgängerinnen bisher im Zusammenhang mit den Menschenrechten in der Westsahara völlig versagt: Im mehr als 300 Seiten umfassenden 10. Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik kommt das Wort Westsahara noch nicht einmal vor; und während des 13. Universal Periodic Review (UPR) von Marokko am 22. Mai in Genf war von deutscher Seite nur beharrliches Schweigen zu vernehmen. Dagegen ist Deutschland innerhalb der EU nach wie vor eine aktive Stütze des marokkanischen Kolonialregimes, wenn es um Handelserleichterungen und Investitionen geht, die den marokkanischen Anspruch über die besetzten saharauischen Gebiete nur verfestigen. So bleibt der saharauischen Bevölkerung, die zum allergrößten Teil in der [algerischen] Diaspora ausharren oder aber die Gewaltexzesse des marokkanischen Besatzungsregimes im eigenen Land ertragen muss, vor allem die internationale Zivilgesellschaft, die aber die Causa Saharaui noch viel stärker auf die internationale politische Bühne stellen muss.

Um das Bewusstsein um den letzten afrikanischen Kolonialkonflikt in Deutschland weiter zu schärfen und durch politische Lobbyarbeit einen Politikwechsel herbeizuführen, haben wir am 26. November in Bremen den Verein Freiheit für die Westsahara gegründet (s. www.freie-westsahara.eu).


Anmerkungen
(1) s. hierzu auch den Kommentar in diesem Heft: Elektroautos - Rettung aus der Energiekrise oder kindliche Hoffnung? S. 17 ff.
(2) s. hierzu auch die Rezension in diesem Heft: GRACIET & LAURENT: Le Roi Prédateur. S. 25 f.

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Quelle:
Kritische Ökologie, Nr. 79 Ausgabe 27 [2] - Winter 2012/13, S. 7-17
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Mai 2013


 

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