Parlament kippt fast Marokkos Vorstoß zur Kennzeichnungspflicht
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Die EU-Gesetzgeber:innen hatten heute eine einmalige Gelegenheit, sich für die europäischen Verbraucher:innen einzusetzen. Mit einer soliden Mehrheit im Rücken hätte das Parlament beinahe die Entscheidung der Kommission gekippt.

26. November 2025

Mit einem deutlichen Statement hat das Europäische Parlament den Plan der Europäischen Kommission abgelehnt, Produkte aus der besetzten Westsahara als aus marokkanischen „Regionen“ stammend neu zu kennzeichnen. Eine große Mehrheit stimmte gegen den Vorschlag – doch wegen einer fehlende Stimme gelang es nicht, ihn formell zu blockieren.

Die Kommission versucht derzeit auf umstrittene Weise, frühere Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu umgehen.

Bei der Abstimmung ging es darum, ob das Parlament Einwände gegen den Vorschlag der Kommission zur Änderung der Delegierten Verordnung (EU) 2023/2429 über die Ursprungskennzeichnung von Obst und Gemüse aus der Westsahara erheben würde. Konkret schlug die Kommission im Oktober 2025 vor, die Namen der Verwaltungsregionen, die Marokko für das Gebiet festgelegt hat, für die Kennzeichnung zu verwenden: Laayoune-Sakia El Hamra und Dakhla-Oued Eddahab. Diese territorialen Aufteilung wurde weder von den Vereinten Nationen noch von der EU oder dem EU-Gerichtshof anerkannt.

Außerdem erfolgte dieser Schritt trotz einer klaren Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, dass Produkte aus der Westsahara als aus der Westsahara stammend gekennzeichnet werden müssen und nicht mit marokkanischen Gebietsbezeichnungen bezeichnet werden dürfen. 

Die Vorschläge der EVP und der PfE wurden mit mit der geringst möglichen Anzahl an fehlenden Stimmen abgelehnt. Hätte ein (!) weiterer Abgeordneter den Vorschlag der EVP unterstützt, wäre die delegierte Verordnung abgelehnt worden. Für die Annahme des Antrags waren 360 Stimmen erforderlich. Es stimmten allerdings nur 359 für den Antrag, bei 188 Gegenstimmen und 76 Enthaltungen. Zum Antrag der PfE gab es 465 Gegenstimmen, 157 Ja-Stimmen und 20 Enthaltungen.

„Der Antrag der EVP wurde mit einer einzigen Stimme abgelehnt, aber die politische Botschaft könnte nicht klarer sein: Eine breite Mehrheit der Abgeordneten lehnt das Manöver der Kommission ab, die EU-Vorschriften zugunsten Marokkos zu beugen, und setzt sich für das EU-Recht und die Rechte der Verbraucher:innen und europäischen Landwirt:innen ein. Dass diese Anträge von Fraktionen eingereicht wurden, die eher mit Rabat auf einer Linie liegen, ist ein Zeichen für einen Wandel“, sagt Sara Eyckmans von Western Sahara Resource Watch. 

„Dies ist eine bedeutende Niederlage für Marokko und ein starkes Signal für die bevorstehenden Kämpfe, dass die Legalität – und die Existenzgrundlage der europäischen Landwirt:innen – endlich wieder im Mittelpunkt der parlamentarischen Entscheidungsfindung stehen. Die französischen, spanischen und italienischen Abgeordneten, die dagegen gestimmt oder sich enthalten haben, werden ihren Wählern aus ländlichen Gebieten ernsthafte Fragen zu beantworten haben.“

Während der Sitzung des Landwirtschaftsausschusses des Parlaments in der vergangenen Woche räumte die Kommission offen ein, dass das Konzept einer „Herkunftsregion“ „das Ergebnis von Verhandlungen mit Marokko“ sei und es keine Rechtsgrundlage für eine Abweichung von der etablierten Rechtsprechung des EuGH und den EU-Vermarktungsnormen gäbe. Abgeordnete aus dem gesamten politischen Spektrum kritisierten den Vorschlag scharf.

Es wurden zwei Einwände vorgebracht – einer von der EVP und einer von PfE –, in denen argumentiert wurde, dass der Vorschlag der Kommission gegen EU-Recht verstoße, die Verbraucher:innen irreführe und eher aus Verhandlungen mit Marokko als aus einer rechtlichen Notwendigkeit hervorgegangen sei.

Obwohl die Einwände Unterstützung fanden, wurde die erforderliche Mehrheit nicht erreicht. Das Ergebnis ändert nichts an den wesentlichen Bedenken, die während der Debatte im AGRI-Ausschuss geäußert wurden:
 

  • Die Rechtsprechung des EuGH verlangt, dass Produkte aus der Westsahara mit „Westsahara“ gekennzeichnet werden, ohne jeglichen Hinweis auf Marokko oder seine Regionen. Es ist daher zweifelhaft, dass die Ausnahmeregelung der Kommission mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs vereinbar ist.
  • Die EU hat wiederholt erlebt, dass ihre Maßnahmen gegenüber Marokko vom EuGH für nichtig erklärt wurden. Die Verabschiedung eines delegierten Rechtsakts, der offenbar im Widerspruch zu etablierten Urteilen steht, birgt das Risiko weiterer Rechtsstreitigkeiten.
  • Die Kommission räumte ein, dass der Begriff „Herkunftsregion“ aus Verhandlungen mit Marokko stammt, was Fragen hinsichtlich des Einflusses von Drittländern auf interne EU-Vorschriften aufwirft.
  • Die Ersetzung der wahrheitsgemäßen Angabe „Westsahara“ durch unbekannte Namen (die auch in anderen Ländern existieren) verschleiert die Herkunft, führt die Verbraucher;innen in die Irre und erweckt den falschen Eindruck marokkanischer Souveränität.

    Das Parlament hat den delegierten Rechtsakt zwar nicht blockiert, doch die Debatte hat eine beispiellose parteiübergreifende Besorgnis über die Rechtmäßigkeit des Vorschlags und seine Vereinbarkeit mit den Urteilen des EuGH offenbart. Es ist daher unwahrscheinlich, dass die Entscheidung das Ende der Angelegenheit bedeutet – weder in institutioneller noch in rechtlicher Hinsicht.
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