Der neue „Plan Halieutis“ der marokkanischen Regierung will erhebliche Summen in der Westsahara investieren. Nicht erwähnt wird allerdings, ob der Plan den Wünschen der saharauischen Bevölkerung Rechnung trägt.
Ein zusammenfassender Prospekt des marokkanischen Fischereiministeriums erläutert in groben Umrissen den Inhalt des „Plan Halieutis“ (Fischereiplans), den die Regierung aufgestellt hat, um der Fischereiindustrie des Landes einen Aufschwung zu verschaffen. Das 43 Seiten umfassende Dokument, dessen Inhalt weiter unten konsultiert werden kann, zeigt auf, dass Marokko die Westsahara in Sachen Fischerei behandelt, als ob sie einen integralen Teil seines eigenen Territoriums darstelle. Kein einziges Land der Welt erkennt jedoch Marokkos Souveränität über die Westsahara an.
Der Plan führt die Entwicklungsstrategien für den gesamten Küstenbereich von Tanger in Marokko bis Dajla (früher: Villa Cisneros) in der Westsahara aus. Das Dokument stammt wahrscheinlich aus dem Jahre 2008. Gleichsam wie ein roter Faden durchzieht der paradoxe Kontrast zwischen dem großen Fischreichtum in Gewässern der Westsahara einerseits und der mangelnden Infrastruktur zur Verarbeitung des gefangenen Fischs im Gebiet andererseits den Plan. Sein „vorrangiges“ Ziel scheint zu sein, „eine Wertschöpfung der Vorräte im Süden“ durch enorme Investitionen in der Infrastruktur zu erreichen.
Die Fangbemühungen „sind im Süden unterdimensioniert im Verhältnis zum Fangpotential“ heißt es in der Broschüre und zwar unter Bezugnahme auf die Tatsache, dass lediglich 17 % der Fischereiflotte insgesamt „im Süden“ basiert ist – Marokkos Bezeichnung für das von ihm 1975 illegal besetzte Gebiet. Es bezieht sich auch auf die „Sättigung der Häfen im Süden“ und nicht ausreichende Anlandungskapazitäten für den Fang kleinerer Fischarten.
Die marokkanische Regierung erklärt in dem Dokument: „Um die zusätzlichen Möglichkeiten des Fangs kleinerer Hochseefischarten im Süden zu nutzen, ist der Bau eines neuen Hafens südlich von Laayoune [El Aaiún] erforderlich.“
Die neuen Installationen sehen Kapazitäten für die Anlandung von bis zu 1 Million Tonnen kleinerer Hochseefischarten vor und sollen sich in den Heimathafen für die erstaunliche Zahl von 60 bis 120 sogenannter RSW-Schiffe verwandeln. Derartige wohl industriell operierende Fischereifahrzeuge sind an sich enorm und können ihren Fang an Bord einfrieren – deshalb die drei Buchstaben RSW als Abkürzung des englischen Begriffs „Refrigerated Sea Water“ oder „gekühltes Meerwasser“ in ihrer Branchenbezeichnung. Zum Vergleich sei erwähnt, dass die Gesamtzahl von RSW-Schiffen in El Aaiún und Dajla zusammengerechnet heutzutage unter 20 liegt. Der Hafen würde eine Kailinie von 750 bis 1500 m und 7 m Tiefe aufweisen, und im Hafenbereich könnte er dem Plan zufolge 27.500 Arbeitsplätze schaffen.
Vorgesehen ist auch einen von drei sogenannten „wettbewerbsfähigen Schwerpunkten“ in der Westsahara zu schaffen. Der „Schwerpunkt“ in der Westsahara, der sowohl El Aaiún als auch Dajla einschließt, würde sich auf kleinere Hochseefische spezialisieren. Investitionen in diesen neuen Schwerpunkt würden einen Dirham-Betrag ausmachen, der etwa drei Milliarden Dirham entspricht, 60.000 Arbeitsplätze schaffen und die Anlandung von insgesamt 990.000 Tonnen Fisch im Jahr ermöglichen. Obwohl der Plan hauptsächlich kleine Hochseefischarten im Auge hat, schließt er auch Aquakultur-Projekte in Dajla ein.
Bedeutender BeschäftigungsfaktorIn dem Dokument bezeichnet sich Marokko als „Weltfischereimacht“, und heutzutage leistet die Industrie bereits „einen bedeutenden Beitrag zur Wirtschaft des Landes“, doch immer noch gäbe es „nicht ausgeschöpfte Möglichkeiten“ gemäß diesen Angaben. Dem Dokument zufolge stammt ein Anteil von 55 % der Gesamtfangmenge Marokkos aus Gewässern der Westsahara. In den besetzten Gebieten gibt es demzufolge 5.545 kleinere Fischerboote und 326 größere Schiffe. In 119 Fabriken in der Westsahara erfolgt die Verarbeitung ihres Fangs, was 29 % der Verarbeitungsbetriebe in Marokko und der Westsahara zusammen entspricht.
Insgesamt sorgt die Fischerei in Marokko und der Westsahara für fast 660.000 Arbeitsplätze, davon 30 % im „Gebiet des Südens“, und mehr als drei Millionen Personen verdanken ihren Lebensunterhalt direkt oder indirekt diesem Wirtschaftszweig. Ziel für 2020 ist es, die Exporte aus Marokko und der Westsahara fast zu verdreifachen, von 1,2 Milliarden Dollar im Jahre 2007 auf 3,1 Milliarden.
Die Bedeutung dieses Industriezweigs kontrastiert in dieser Darstellung erheblich mit den von der marokkanischen Regierung in letzter Zeit gemachten Angaben, wie arm die Westsahara sei. Dieses Ankurbeln der Fischerei in der Westsahara wird zu einem Zeitpunkt bekannt, der von einem Rückgang der Fischbestände in marokkanischen Gewässern geprägt ist.
Die großangelegte neue Planung erfolgt zur gleichen Zeit wie die Ersuchen der Saharauis an die marokkanische Regierung, von weiteren Investitionen im Gebiet abzusehen, bis es zu einer Lösung des Konflikts gekommen ist, indem sie darauf hinweisen, dass die Saharauis nicht von bisherigen Investitionen profitiert haben. Dieser Wirtschaftszweig dient Marokko vielmehr als Vorwand, um mehr marokkanisches Zivilpersonal im Gebiet anzusiedeln, womit es das Vierte Genfer Abkommen verletzt.
Das Dokument unterscheidet nicht zwischen Marokko und Westsahara als Gebietseinheiten. Es bezieht sich außerdem auf die Wirtschaftsexklusivzone Marokkos, ohne zu präzisieren, dass diese Zone nur auf das eigentliche Marokko anwendbar ist. Marokko hat nie Anspruch auf die Offshoregewässer des nicht selbst regierten Gebiets erhoben, das es unter Verurteilung der Vereinten Nationen besetzte.
Einer der in der Broschüre erwähnten Erfolge ist die Verleihung des Öko-Zertifikats für die in Tan-Tan errichtete Fabrik Sovapec-Maromega. Ein schwedischer Dokumentarfilm offenbarte im Jahre 2010 unter deren Lebensmittelimporten die Einfuhr von Fisch aus Dajla zur Fischöl- oder Tranproduktion für den skandinavischen Markt. Als die unethische Handelsbeziehung mit den besetzten Gebieten in Schweden bekannt wurde, kam es zur sofortigen Einstellung. Die hinter den Skandinavien-Importen stehende Firma wurde mit
einer Strafe von über 1,2 Millionen Euro wegen des Exports von Westsahara-Erzeugnissen nach Norwegen im Rahmen des zwischen diesem Land und Marokko bestehenden Freihandelsabkommens verurteilt, das nur Marokko in seinen international anerkannten Grenzen einschließt.
Die norwegischen Eigentümer von Maromega gaben daraufhin am 22. Dezember bekannt, dass es seitens der marokkanischen Firma inzwischen zu einem
Stopp aller Einkäufe von Rohmaterial aus der Westsahara gekommen sei und nur in Marokko gefangener Fisch zur Verwendung kommt.
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