Euractiv - Die EU-Kommission plant eine Verlängerung des Fischereiabkommens mit Marokko. Weder die lokale Bevölkerung, noch die europäischen Verbraucher profitieren von dem Vertrag, kritisieren EU-Abgeordnete. Stattdessen käme er einzelnen "big players" der Fischereiindustrie zugute.
Euractiv14 November 2011
Jana Nikolin
Elf EU-Mitgliedsstaaten dürfen unter dem Öffnet externen Link in neuem FensterEU-Marokko Fischereiabkommen in den marokkanischen Hoheitsgewässern fischen. Die EU sowie die marokkanische Regierung legen das Abkommen so aus, dass es auch die äußerst fischreichen Gewässer vor der Westsahara umfasst. Marokko hat die Westsahara 1975 besetzt und betrachtet es als eigenes Territorium, die Vereinten Nationen fordern jedoch ein Referendum über den endgültigen völkerrechtlichen Status des Gebiets.
Einem Gutachten des juristischen Dienstes des EU-Parlaments zufolge sind die Fischereiaktivitäten vor der Küste der Westsahara illegal. Der Grund: Sollen die natürlichen Ressourcen eines Autonomiegebietes genutzt werden, dürfe dies nur mit Einverständnis und zum Wohle der dortigen Bevölkerung geschehen.
Das EU-Parlament Öffnet externen Link in neuem Fensterstimmte kürzlich dennoch gegen eine Überprüfung des Abkommens durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. Der EU-Abgeordnete Jorgo Chatzimarkakis (FDP), Mitglied des Fischereiausschusses, erklärte gegenüber EurActiv.de, dass die Abgeordneten, die dagegen gestimmt hatten, dies nicht leichtfertig taten. "Für sie stand dieses Protokoll in einem größeren Zusammenhang: das Risiko, im Nachgang eines Urteils weit mehr Handelsprotokolle überprüfen zu müssen, schien ihnen zu groß". Die Ablehnung des EuGH-Urteils bedeutet also nicht zwangsläufig die Befürwortung des Abkommens.
Keine akzeptablen Zahlen von MarokkoChatzimarkakis selbst stimmte dafür, den EuGH anzurufen. Nach internationalem Recht müsse das Abkommen der Bevölkerung der Westsahara zugutekommen und jede wirtschaftliche Aktivität dort deren Wunsch entsprechen. Trotz drängender Anfragen der EU-Kommission habe Marokko dafür jedoch keine akzeptablen Zahlen vorlegen können. Um Klarheit zu schaffen, hält er ein EuGH-Urteil für unabdingbar.
Auch die EU-Abgeordnete Ulrike Rodust (SPD), ebenfalls Mitglied im Fischereiausschuss, stimmte dafür, den EuGH anzurufen. Gegenüber EurActiv.de kritisierte sie, dass Marokko der EU die Zugangsrechte zu den Ressourcen der Westsahara verkaufe, "als ob die Westsahara Teil ihres Landes wäre".
5 von 11 Fischbeständen in Marokko überfischtZudem zweifeln beide Parlamentarier die Umweltverträglichkeit des Abkommens an. Das UN-Seerechtsübereinkommen setze Fischereiabkommen klare Grenzen: Es dürften nur Fangrechte auf "überschüssige" Ressourcen verkauft werden, das heißt Fischressourcen die von dem betroffenen Staat nicht selbst genutzt werden. Jedoch seien 5 von 11 Fischbeständen in Marokko überfischt, so Rodust. "Außerdem wissen wir leider oft gar nicht, ob es Überschüsse gibt, weil viel zu wenig Geld für die Fischereiwissenschaft ausgegeben wird."
Er empfinde es als unerträglich, wenn einzelne Unternehmen der europäischen Fischereiindustrie vor Ort Fischbestände dezimierten und dadurch der lokalen Bevölkerung ein Auskommen erschwerten, sagte Chatzimarkakis. "Wir dürfen nicht in anderen Gewässern die gleichen Fehler wiederholen, die bei uns zu einer fast 90-prozentigen Überfischung geführt haben."
"Völkerrechtsfrage hat in diesem Zusammenhang nichts zu suchen"Andreas Geiger von der Lobbykanzlei Alber & Geiger, die Marokko gegenüber den EU-Institutionen vertritt, hält dagegen: "Die EU braucht den Fisch, wenn sie ihre eigenen Gebiete nicht überfischen will. Die diskutierte Völkerrechtsfrage hat in diesem Zusammenhang nichts zu suchen. Sie basiert auf Art. 73 der UN-Charta, ist also von New York zu beantworten, nicht von Brüssel oder Luxemburg."
Den meisten Befürwortern des Abkommens gehe es gar nicht um die Fische, sondern um die guten Beziehungen zu Marokko, so Rodust. Der EU stünde "hier ein bisschen mehr Selbstbewusstsein gut zu Gesicht. Eine gute, partnerschaftliche Beziehung hält auch eine Nichtverlängerung eines Fischereiabkommens aus".
"Frau Rodust übersieht dabei, dass Marokko derzeit der letzte stabile Staat in Nordafrika ist", so Geiger. "Es ist daher sicherlich nicht falsch, wenn die EU auch nachbarschaftliche Beziehungen mit einfließen lässt in die politische Betrachtung. Sonst haben wir ruck-zuck ein neues Lampedusa auf den Kanaren".
"Ich bin strikt gegen indirekte Subventionen"Weder die lokale Bevölkerung, noch die europäischen Verbraucher profitieren von dem Vertrag, erklärte Chatzimarkakis. Stattdessen käme er einzelnen "big players" der Fischereiindustrie zugute. Rodust benennt als Gewinner konkret die "Fischer aus Spanien, die einen Großteil der Lizenzen innehaben". Chatzimarkakis verweist auf einen externen Evaluierungsbericht, der zeige, dass das Abkommen die europäischen Steuerzahler mehr kostet als es einbringt. Auch für Marokko scheine das Abkommen demnach nicht profitabel zu sein. "Ich bin strikt gegen indirekte Subventionen", sagte Chatzimarkakis.
Kommende Woche wird der EU-Fischereiausschuss über das Abkommen abstimmen. Das EU-Parlament wird voraussichtlich im Dezember über die Verlängerung des Protokolls für das laufende Jahr entscheiden. "Die Kommission hat dem Parlament die in Frage stehende Verlängerung leider erst sehr spät vorgelegt und wendet das Protokoll in seiner jetzigen Fassung bereits provisorisch an", erklärte Chatzimarkakis. Die Kommission verhandelt zudem bereits über ein sich anschließendes Protokoll ab Februar 2012. Auch dieses benötigt die Zustimmung des Parlaments.
USA und EFTA als VorbildDer spanische EU-Abgeordnete Raül Romeva erklärte: "Es ist skandalös, dass die EU bereit ist, dieses Abkommen zu verlängern, unter dem die marokkanische Regierung der EU-Fischereiflotte Fischereiberechtigungen erteilt, um in den Gewässern der Westsahara zu fischen, obwohl sie dazu nicht berechtigt ist". Die einzige verantwortungsvolle Lösung für die EU sei eine Überarbeitung des Abkommens. Chatzmarkakis nannte die USA und die EFTA (European Free Trade Association) als Vorbild. Beide "haben hier bereits klar Position bezogen: ihre Abkommen mit Marokko schließen die Region Westsahara nicht mit ein".