Das deutsche Zertifizierungssystem, das sich für die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften einsetzt, hat irreführende Informationen über die EU-Kennzeichnungsvorschriften für Produkte aus der besetzten Westsahara verbreitet.
Am 17. Oktober 2025 teilte GLOBALG.A.P. seinem Netzwerk mit, dass „die neuen Kennzeichnungsvorschriften vorläufig ab dem 4. Oktober 2025 gelten” und dass Unternehmen, die aus der Westsahara importieren, „in allen Produktunterlagen und auf allen Etiketten” eine der Verwaltungsregionen Marokkos als Herkunftsort „korrekt angeben müssen”.
Das deutsche Zertifizierungssystem erlaubt umstrittenerweise marokkanischen Agrarproduzenten, die auf besetztem Land tätig sind, als „verantwortungsbewusst” zertifiziert zu werden. Schon die Rechtskonformitätsprüfungen in der Westsahara werden nach den Gesetzen des Nachbarstaates Marokko durchgeführt werden. Nun liefert GLOBALG.A.P. auch irreführende Informationen über EU-Vorschriften.
Die neue Mitteilung von GLOBALG.A.P. impliziert, dass Produkte aus der Westsahara bereits die Namen der von Marokko auferlegten Verwaltungsregionen tragen müssen – obwohl diese Kennzeichnungsvorschriften noch nicht in Kraft getreten sind.
Der französische Händler Sofruce/Anima hatte diese marokkanische Terminologie bereits für seine GLOBALG.A.P.-zertifizierten Produkte übernommen. Dies wurde Anfang dieser Woche von WSRW aufgedeckt. Die Tomaten werden auf einer von Marokko betriebenen Farm im besetzten Gebiet angebaut, die von GLOBALG.A.P. als „verantwortungsbewusst” zertifiziert ist, während der französische Importeur über ein GLOBALG.A.P.-Chain-of-Custody-Zertifikat verfügt.
Das von der Kommission vorgeschlagene Kennzeichnungssystem, das das Urteil des EuGH vom 4. Oktober 2024 ignoriert, wonach die Kennzeichnung der Westsahara als marokkanisch verboten ist, ist jedoch noch nicht in Kraft getreten. Anstatt die Rechtslage zu klären, hat GLOBALG.A.P. die Verwirrung noch verstärkt. Die Organisation hat es bisher vermieden, zu erklären, warum sie marokkanische Rechtskontrollen in einem Gebiet für relevant hält, das nach internationalem Recht nicht zu Marokko gehört.
Was am 4. Oktober 2025 vorläufig in Kraft getreten ist, ist das Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko selbst, vorbehaltlich der Zustimmung des EU-Parlaments und des endgültigen Abschlusses durch den Rat.
Die Kennzeichnungsvorschriften erfordern jedoch eine Änderung der delegierten Verordnung über Vermarktungsnormen für Obst und Gemüse. Die geänderte delegierte Verordnung wurde jedoch noch nicht verabschiedet, ist noch nicht in Kraft getreten und kann daher nicht vorläufig angewendet werden.

Am 16. Oktober 2025 veröffentlichte die Kommission eine „Mitteilung an die Marktteilnehmer” zur Kennzeichnung von Produkten aus diesem Gebiet. Die neuen Kennzeichnungsvorschriften gelten erst, wenn die delegierte Verordnung formell verabschiedet ist, danach gelten sie rückwirkend. Bis dahin bleiben die bestehenden EU-Vermarktungsnormen in vollem Umfang in Kraft, was bedeutet, dass Produkte weiterhin mit Herkunft „Westsahara” gekennzeichnet werden muss.
Die Mitteilung der Kommission erlaubte zwar, dass bereits mit „Westsahara” gekennzeichnete Waren in den Regalen bleiben dürfen, verbot jedoch nicht eindeutig die vorzeitige Verwendung marokkanischer Regionalbezeichnungen. Diese Unklarheit hat bereits zu falschen Kennzeichnungen in Frankreich geführt und verdeutlicht die praktischen Folgen der Entscheidung der Kommission, eine politisch heikle Änderung voranzutreiben, bevor der rechtliche Rahmen geschaffen ist. Die Folge ist Rechtsunsicherheit für Verbraucher:innen, Unternehmen und Behörden, wobei die Marktteilnehmenden ohne es zu wissen gegen EU-Recht verstoßen.
Verbraucher:innen sollten bei GLOBALG.A.P.-zertifizierten Produkten aus der Westsahara Folgendes beachten.
„Dieses ganze Chaos wäre von einem Tag auf den anderen gelöst, wenn GLOBALG.A.P. einfach anfangen würde, die Grundsätze des Völkerrechts zu achten und Marokkos zutiefst unverantwortliche Landwirtschaft in der besetzten Westsahara nicht mehr zu fördern“, erklärte Erik Hagen von Western Sahara Resource Watch.
Es bleibt unklar, inwieweit GLOBALG.A.P. finanziell davon profitiert, Zertifikate an marokkanische Unternehmen zu vergeben, die in den besetzten Gebieten tätig sind und exportieren, ohne die Rechte des sahrauischen Volkes zu respektieren.
GLOBALG.A.P. gab seine fehlerhafte Empfehlung weniger als zwei Wochen nach der Entscheidung des EU-Rates Anfang Oktober heraus, das geänderte Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko zu unterzeichnen, mit dem die Handelsströme aus dem besetzten Gebiet aufrechterhalten werden sollen. Dennoch brauchte die Organisation sechs Monate, um ihre Mitglieder über das Urteil des EuGH vom Vorjahr zu informieren.
Zwar enthielt ihre frühere Mitteilung vom April 2025 eine recht genaue Zusammenfassung der Argumentation des EuGH, doch wurde der entscheidende Punkt, dass die Westsahara nicht zu Marokko gehört, nicht erwähnt.
In ihrer jüngsten Erklärung vom Oktober bezeichnet GLOBALG.A.P. das Gebiet sogar als „die Region Westsahara” ( „the Western Sahara area“) – eine Formulierung, die nicht mit der Terminologie der Vereinten Nationen, den Urteilen des EuGH und der internationalen Rechtssprache übereinstimmt.
WSRW hat wiederholt auf diesen Widerspruch hingewiesen: GLOBALG.A.P. erkennt die rechtlichen Schlussfolgerungen des EuGH zwar theoretisch an, ignoriert sie jedoch in der Praxis, indem es die marokkanische Nomenklatur und marokkanische Rechtsprüfungen für Unternehmen in einem Gebiet zulässt, das der Gerichtshof als „gesondert und unterschiedlich” anerkennt.
GLOBALG.A.P. mit Sitz in Deutschland erklärte gegenüber WSRW, dass „es keinen ‚Widerspruch‘ in der Praxis von GLOBALG.A.P. gibt“ und dass es „gute landwirtschaftliche Praktiken und verantwortungsbewusste Landwirtschaft fördert, einschließlich der Einhaltung der geltenden Gesetze für den Produktionsprozess“. Es hat jedoch noch immer nicht erklärt, warum es der Ansicht ist, dass marokkanisches Recht im Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung Westsahara gilt.
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