Eine Anhörung im EU-Parlament zeigte, dass es noch viele Fragen und wenige Antworten zur Reaktion der EU auf das Urteil des EU-Gerichtshofs gibt, das die bilateralen Abkommen mit Marokko aufgrund der Einbeziehung der besetzten Westsahara für nichtig erklärt hat.
Am 25. Oktober hielt der Ausschuss für internationalen Handel (INTA) des Europäischen Parlaments eine Anhörung über das jüngste Urteil des Gerichts der Europäischen Union ab. Dieses hatte die Handels- und Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko für nichtig erklärt, weil es auf die besetzte Westsahara angewendet wurde. Ursprünglich war die Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit geplant, doch die Abgeordneten setzten sich erfolgreich dafür ein, dass die Sitzung für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde und sie hier verfolgt werden kann.
Es war die erste Diskussion zwischen dem Parlament und der Kommission zu diesem Thema seit dem wegweisenden Urteil des Gerichtshofs vom 29. September. Es fand statt im Kontext von Debatten zwischen den EU-Mitgliedstaaten darüber, ob das Urteil rechtlich angefochten werden soll oder nicht.
Der Gerichtshof hatte entschieden, dass keine weiteren Handelsabkommen mit Marokko die Westsahara ohne die ausdrückliche Zustimmung des sahrauischen Volkes einschließen dürfen, und dass diese Zustimmung über die international anerkannte Vertretung der Sahrauis, die Frente Polisario, eingeholt werden muss.
Vertreter:innen der Generaldirektion Handel der EU-Kommission (DG Trade), der Generaldirektion Zoll und Steuern (DG TAXUD) und des Auswärtigen Dienstes der EU (EAD) informierten die anwesenden Abgeordneten über den aktuellen Stand der Dinge. Eine Abschrift ihrer Erklärungen finden Sie weiter unten im englischsprachigen Artikel.
Nele Eichhorn, Referatsleiterin in der GD Handel, bekräftigte, wie wichtig die guten Beziehungen zu Marokko seien, einem wichtigen Handels- und Investitionspartner der Union. Gleichzeitig erkannte sie die Notwendigkeit eines klaren und vorhersehbaren Rechtsrahmens für EU-Akteur:innen an.
Dominic Schnichels, amtierender Direktor für Zollpolitik in der GD TAXUD, fasste das Gerichtsurteil in vier Punkten zusammen: Das Gericht sei zu dem Schluss gekommen, dass die Frente Polisario vor dem Gericht klageberechtigt ist; dass die Ausdehnung des Handelsabkommens mit Marokko auf die Westsahara Rechte, aber auch Pflichten für die Bevölkerung des Gebiets geschaffen habe - was deren Zustimmung erfordere; dass die Frente Polisario in allen Aspekten als rechtmäßige Vertretung des Volkes der Westsahara gelte, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit dem UN-Prozess; und schließlich, dass die Polisario der Anwendung des Handelsabkommens auf die Westsahara nicht zugestimmt habe. Herr Schnichels erklärte, der Rat habe bis zum 16. Dezember Zeit zu entscheiden, ob er gegen das Urteil Berufung einlegen wolle oder nicht. Er betonte wiederholt, dass noch keine Entscheidung über eine mögliche Berufung getroffen worden sei. Die unmittelbare Folge einer Nichtanfechtung wäre die Einführung erheblicher Zölle für Produkte mit Ursprung in der Westsahara, die nicht einmal unter die Meistbegünstigungsregelung der WTO fallen, da die Westsahara kein Mitglied der WTO ist. Herr Schnichels erklärte, dass die Kommission im Laufe des Jahres einen aktuellen Bericht über die Vorteile der Anwendung des Handelsabkommens zwischen der EU und Marokko auf die Westsahara sowie über die Ergebnisse der Kommissionsmission in dem Gebiet vom September 2021 vorlegen werde, die gezeigt habe, dass ein erheblicher Teil der Wirtschaftstätigkeit in dem Gebiet von Ausfuhren in die EU abhänge.
Schließlich versuchte der Auswärtige Dienst der EU, sich von den Kommentaren der GD TAXUD bezüglich der angeblichen Weigerung der Polisario, an den "Konsultationen" im Zusammenhang mit den Abkommen teilzunehmen, zu distanzieren. Der EAD betonte, dass er 2018 im Rahmen seiner Konsultationen zum Abkommen mit den meisten zivilgesellschaftlichen Gruppen der Westsahara in Kontakt gestanden habe, einschließlich der Polisario, die zwar nicht formell an den Konsultationen teilgenommen habe, aber regelmäßige technische Konsultationen mit dem EAD habe, auch während der Zeit der Konsultationen.
Den vollständigen Artikel inklusive der Fragen der INTA-Abgeordneten und Abschriften der Antworten der Kommission auf Englisch finden Sie hier.
Ein von der EU-Kommission erstellter Bericht gibt Aufschluss über die enorme Summe, die die EU in nur einem Jahr und das allein im Rahmen des Handelsabkommens zwischen der EU und Marokko den Sahrauis vorenthält.
WSRW hat die wichtigsten Ergebnisse des wegweisenden Urteils des EU-Gerichtshofs zur Westsahara vom 4. Oktober 2024 zusammengefasst.
Das Europäische Parlament hat sich dafür ausgesprochen, in drei Parlamentsausschüssen Debatten über den Ausschluss der Westsahara aus den Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko zu führen.
In einem weiteren Urteil vom 4. Oktober 2024 entschied der EU-Gerichtshof, dass Produkte aus der Westsahara auf dem EU-Markt nicht als "aus Marokko" gekennzeichnet werden dürfen.