Der Gerichtshof der Europäischen Union hat den Antrag der Europäischen Kommission auf Berichtigung bestimmter Absätze in ihren Urteilen von 2024 abgelehnt. Die Kommission hatte angezweifelt, dass die Mehrheit des Volkes der Westsahara außerhalb des Territoriums lebt.
Am 4. Oktober 2024 erließ der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) zwei Urteile, in denen er zu dem Schluss kam, dass sowohl das Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko als auch das Fischereiabkommen zwischen der EU und Marokko in der Westsahara nicht anwendbar sind, da das Volk des Gebiets diesen nicht zugestimmt hat.
In den Urteilen fügte der Gerichtshof klarstellende Absätze hinzu, in denen er darauf hinweist, dass es einen Unterschied zwischen der "Bevölkerung" der Westsahara und dem "Volk" der Westsahara gibt – letzteres ist jenes, das das Recht auf Selbstbestimmung hat. Dieses Volk, "das zum großen Teil vertrieben wurde, ist aber der alleinige Inhaber des Rechts auf Selbstbestimmung für das Gebiet der Westsahara. Das Recht auf Selbstbestimmung steht nämlich dem betreffenden Volk zu und nicht der Bevölkerung dieses Gebiets im Allgemeinen, die nach den von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof vorgelegten Schätzungen nur zu 25 % sahrauischer Herkunft ist.", so das Gericht (§128 des Handelsurteils, §157 des Fischereiurteils).
Am 24. Oktober 2024, weniger als drei Wochen nach dem Gerichtsurteil, beantragte die EU-Kommission beim Gericht die Berichtigung der oben genannten Absätze jedes Urteils – genau der Absätze, die klarstellen, dass die Bevölkerung der Westsahara, die aufgrund ihres Rechts auf Selbstbestimmung das Recht auf Zustimmung hat, größtenteils vertrieben wurde. Die Kommission behauptete, dass diese Absätze Ungenauigkeiten enthielten, und erklärte, dass nicht klar sei, ob eine Mehrheit der Sahrauis tatsächlich außerhalb des Territoriums lebt.
Der Antrag auf Berichtigung der Urteile, der von den Regierungen Frankreichs und Spaniens unterstützt wurde, war der Öffentlichkeit bisher nicht bekannt.
Ende letzter Woche veröffentlichte der Gerichtshof seine Schlussfolgerungen diesbezüglich auf seiner Website. Darin heißt es, dass der EuGH am 15. Januar 2025 Beschlüsse erlassen hat, mit denen der Antrag der Kommission auf Berichtigung der Urteile in den Bereichen Fischerei und Handel abgelehnt wurde. Der Gerichtshof stellte fest, dass es in den genannten Absätzen keine offensichtlichen Ungenauigkeiten gab, die eine Berichtigung rechtfertigten. In dem Beschluss wird betont, dass die ursprünglichen Urteile ohne Änderungen der angefochtenen Abschnitte in der vorliegenden Form gültig bleiben.
Für das Gericht steht fest, dass die Mehrheit der Sahrauis heute nicht in dem Gebiet lebt, da sie vertrieben wurden, während die überwiegende Mehrheit der derzeitigen Bewohner:innen des Gebiets keine Sahrauis sind. Diese neue Anordnung des Gerichts scheint die Möglichkeit der Kommission, die Zustimmung-Bedingung zu umgehen, indem sie die Sahrauis durch andere Interessengruppen ersetzt, definitiv einen Riegel vorzuschieben.
"Der Versuch der EU-Kommission, die Demografie der Westsahara zu verzerren, ist ein eklatanter Akt der Manipulation, der darauf abzielt, die eindeutigen Entscheidungen des Gerichts zu untergraben. Sie versuchen, Zweifel zu schüren, wo es keine gibt, nur um ihre anhaltende Komplizenschaft mit Marokkos illegaler Ausbeutung des Territoriums zu rechtfertigen. Dies ist nicht nur eine Beleidigung des Völkerrechts, sondern auch eine Beleidigung des vertriebenen sahrauischen Volkes, das seit Jahrzehnten für sein legitimes Recht auf Selbstbestimmung kämpft", sagt Sara Eyckmans von Western Sahara Resource Watch. "Durch die Ablehnung der Berichtigungsanträge bekräftigt der Gerichtshof seine Auslegung des Völkerrechts in diesem Zusammenhang, insbesondere was den Grundsatz der Selbstbestimmung und die Rechte des Volkes der Westsahara betrifft."
Es sei darauf hingewiesen, dass die EU-Kommission den EU-Parlamentarier:innen in den Anhörungen, die im Herbst 2024 stattfanden, nicht mitteilte, dass sie den EU-Gerichtshof um eine Überprüfung der wichtigsten Paragraphen der Handels- und Fischereientscheidungen gebeten hatte. Stattdessen teilten Vertreter:innen der Kommission den Abgeordneten in den Ausschüssen für internationalen Handel, Fischerei und Landwirtschaft mit, dass sie die Entscheidungen noch analysierten. "Die Kommission hat ganz klar nur Zeit geschunden, während sie auf die Ergebnisse ihrer Bemühungen wartete, die Rechte des sahrauischen Volkes zu untergraben", so Eyckmans abschließend.
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