Dreifach-Paradoxon von Siemens Gamesa
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Siemens Gamesa hat am Montag eine höchst widersprüchliche Erklärung zu seinen konfliktbehafteten Windrädern in der besetzten Westsahara abgegeben.

29. März 2023

Bild: 27. März 2023, Sahrauis versammeln sich, um gegen die Aktivitäten von Siemens Gamesa in der besetzten Westsahara zu protestieren. Bild des saharauischen Netzwerks Western Sahara it Not for Sale. 

Auf der Jahreshauptversammlung am 27. März 2023 hat Siemens Gamesa Renewable Energy (SGRE) die vielleicht paradoxeste Antwort seit über zehn Jahren gegeben, nachdem es zu seiner Beteiligung am Bau von Windparks in dem von Marokko militärisch besetzten Teil der Westsahara befragt wurde.

Jochen Eikholt, CEO von Siemens Gamesa, erklärte:

1. "Wir sind uns bewusst, dass das Gebiet der Westsahara nach internationalem Recht umstritten ist". 

2. "Wir werden das Berufungsurteil des Europäischen Gerichtshofs abwarten, um daraus Schlussfolgerungen für das weitere Vorgehen von Privatunternehmen wie dem unseren abzuleiten."

3. "Siemens Gamesa hat immer und ausnahmslos in Übereinstimmung mit geltendem Recht gehandelt."

Die vollständige Erklärung von Herrn Eikholt (Englisch) finden Sie am Ende des Artikels oder hier zum Download..

Warum das dreifache Paradoxon?

Das Gebiet der Westsahara ist nach internationalem Recht nicht umstritten. Es handelt sich um ein Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung, für das keine Verwaltungsmacht ernannt wurde, und sein Volk - die Sahrauis - haben ein Recht auf Selbstbestimmung: das Recht, über den künftigen Status des Gebiets zu entscheiden. 

Der Europäische Gerichtshof ist in nunmehr sechs aufeinanderfolgenden Urteilen genau zu diesem Schluss gekommen und hat jedes Mal festgestellt, dass Marokko somit keine Souveränität oder ein internationales Mandat zur Verwaltung des Gebiets hat, dass das Gebiet von jedem Land der Welt (einschließlich Marokko) „gesondert und unterschiedlich“ ist und dass das Volk des Gebiets zustimmen muss, damit eine wirtschaftliche Vereinbarung ihr Land rechtmäßig betreffen kann. Das Volk der Westsahara hat sich immer wieder gegen die Aktivitäten von Siemens in ihrer Heimat ausgesprochen. Es ist merkwürdig, dass SGRE diese sechs Urteile anscheinend nicht berücksichtigt hat, aber angibt, das derzeit ausstehende siebte Urteil abzuwarten, um daraus irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen.

In völligem Widerspruch zu sich selbst behauptet SGRE, stets im Einklang mit geltendem Recht gehandelt zu haben - während es gleichzeitig behauptet, dass die Westsahara aus völkerrechtlicher Sicht "umstritten" sei, und damit anscheinend sechs EuGH-Urteile missachtet, die das Gegenteil besagen. Siemens Gamesa hat es systematisch versäumt, die Frage zu beantworten, die Rechtsvorschriften welchen Staates in der Westsahara anwendbar sein sollen. 

Die Ausbeutung des erneuerbaren Potenzials der besetzten Westsahara durch Marokko ist höchst problematisch. Je mehr Marokko für einen Teil seiner Energieversorgung von seiner illegalen Besatzung abhängig wird, desto weniger Anreiz hat es, sich in den ohnehin leblosen UN-Friedensprozess einzubringen. Darüber hinaus liefern die erneuerbaren Projekte die Energie, die für die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen der Westsahara benötigt wird. Jeder derzeit in Betrieb befindliche Windpark in der besetzten Westsahara wird mit Windrädern betrieben, die von verschiedenen Teilen der Siemens-Familie geliefert wurden: der in Privatbesitz befindliche 5-MW-Park CIMAR (Gamesa-Windräder), der 300-MW-Park Boujdour (SG-Windräder), der 50-MW-Park Foum el Oued (Siemens-Windräder) und der 200-MW-Park Aftissat I (SG-Windräder). Außerdem wird der 100-MW-Windpark Tiskrad, der voraussichtlich 2024 in Betrieb gehen wird, mit Siemens Gamesa-Windrädern ausgestattet.

Bei jedem dieser Projekte hat Siemens mit Nareva zusammengearbeitet, dem Energieunternehmen, das sich im Besitz eben jener marokkanischen Monarchie befindet, die für die Invasion und anhaltende Besetzung von Teilen der Westsahara verantwortlich ist.

Auf der gestrigen Hauptversammlung schloss der CEO von SGRE weitere Projekte in der Westsahara nicht aus. Für potenzielle neue Projekte "werden wir die neue Rechtslage zu einem relevanten Zeitpunkt sorgfältig analysieren und natürlich mit den entsprechenden institutionellen Akteuren zusammenarbeiten, wobei wir uns auch auf die Schaffung von Vorteilen für die lokale Bevölkerung konzentrieren werden", erklärte Eikholt. Es ist erwähnenswert, dass die "Bevölkerung" der Westsahara heute mehrheitlich aus marokkanischen Siedler:innen besteht, die mit dem Versprechen auf Arbeitsplätze in der Industrie, die zum Teil von Siemens-Windrädern angetrieben wird, in das Gebiet gezogen sind. Darüber hinaus wurde das Argument der "Schaffung von Vorteilen" vom EU-Gerichtshof zurückgewiesen, der zu dem Schluss kam, dass ein solcher Ansatz "irrelevant" sei, wenn keine Zustimmung des Volkes des Gebiets vorlag.

Während der Hauptversammlung hatten sich Sahrauis vor dem Hauptsitz von Siemens Gamesa versammelt, um gegen die Aktivitäten des Unternehmens in ihrem besetzten Heimatland zu protestieren. "Die Ausbeutung beginnt hier", hieß es auf dem Protestbanner. Die Demonstrant:innen zogen auch zu den Büros der in der Nähe ansässigen Unternehmen Ormazabal und Ingeteam, die beide an Projekten für erneuerbare Energien in der besetzten Westsahara gearbeitet haben. Ormazabal stellte seine Dienste zur Verfügung, um den Foum el Oued-Park zum Umspannwerk von OCP zu erweitern, dem staatlichen marokkanischen Phosphatunternehmen, das die Phosphatreserven der Westsahara ausbeutet. Ingeteam lieferte Umrichter für die beiden derzeit in Betrieb befindlichen Solarkraftwerke in der besetzten Westsahara (in Boujdour und El Aaiún) und ist der Auftragnehmer für den Betrieb und die Wartung der Standorte.

Weitere Einzelheiten über Marokkos Projekte für erneuerbare Energien in der besetzten Westsahara finden Sie in unserem Bericht Greenwashing Occupation (2022).

Die Erklärung von Siemens Gamesa war die Antwort auf Fragen von Hassanna Alia - einem bekannten sahrauischen Menschenrechtsverteidiger, der das Netzwerk Western Sahara Is Not For Sale vertrat - und von Tim Sauer von Western Sahara Resource Watch abgegeben.

WSRW hat seit Jahren vergeblich versucht, Antworten von Siemens Gamesa in Bezug auf seine Aktivitäten zu erhalten. Den Briefwechsel finden Sie hier.

 

ERKLÄRUNG VON JOCHEN EIKHOLT, CEO VON SIEMENS GAMESA RENEWABLE ENERGY - SGRE HAUPTVERSAMMLUNG - 27. MÄRZ 2023

“Perhaps it is better if I answer in English. So first of all thank you very much for the questions. We are aware that the territory of Western Sahara is disputed under international law. Siemens Gamesa does not have a mandate to take a political position on such issues or to confirm the territorial status. These matters are the responsibilities of governments and international organisations. Siemens Gamesa always and without exception acted in compliance with applicable law. We have taken careful note of the judgement of the European Court of Justice on the 29th of September 2021 on the fishery agreement between the European Union and the kingdom of Morocco. This concerns the validity of an international agreement between actors under international law and does not directly address the question of the legality of private law contracts. In this reasoning the ECJ also stated that the decision does not have immediate repealing effects during the appeal period. The European Commission and the European Council have appealed against the judgement within the legally prescribed period. The appeal judgement is still pending and there is still legal uncertainty on that matter. We will await the appeal ruling of the  European Court of Justice in order to derive conclusion for further directions by private companies like ours. Now Siemens Gamesa will fulfil existing obligations from valid contracts and according with the legal requirements. And with respect to potential new projects located in Western Sahara and in line with its past practice Siemens Gamesa will comply with all applicable laws and court rulings. We will carefully analyse the new legal situation at a relevant point in time and of course we will engage with the appropriate institutional stakeholders and also with focus on the creation of benefits for the local population. Ultimately the engagement of any new project will follow the relevant corporate governance processes and rules.” 

 

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