Wie erwartet ging der Rat der EU in Berufung gegen das Urteil des Gerichts der EU, mit dem die Anwendung der Abkommen zwischen der EU und Marokko auf die besetzte Westsahara für nichtig erklärt wurde. Überraschenderweise hat die EU-Kommission gesondert Berufung eingelegt.
Bild: Marokkos illegaler Handel aus dem Territorium läuft über mehrere Routen, darunter auch über den Grenzübergang Guerguerat, an dem es ab 2020 zu erhöhte Spannungen kam. Foto: Elli Lorz.
Im September 2021 entschied das Gericht der Europäischen Union (EuG) in den Rechtssachen T-279/19, T‑344/19 und T‑356/19, dass das Fischerei- und Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko nicht auf die Westsahara angewendet werden kann. Die Begründung des Urteils steht im Einklang mit den vier vorangegangenen Urteilen in dieser Angelegenheit: Da die Westsahara ein von Marokko gesondertes und unterschiedliches Hoheitsgebiet ist und Marokko keine Souveränität bzw. kein Verwaltungsmandat über das Gebiet hat, können sich EU-Abkommen mit Marokko nur mit Zustimmung des Volkes der Westsahara rechtmäßig auf die Westsahara angewendet werden.
In seinem jüngsten Urteil stellte das Gericht zudem fest, dass die Frente Polisario, die in jedem der bisherigen fünf Urteile als Klägerin auftrat, das Volk der Westsahara vertritt.
In Anbetracht der Bedeutung, die die EU ihren Beziehungen zu Marokko beimisst - dazu gehören Handelsfragen, aber auch die Zusammenarbeit in den Bereichen Migration und Terrorismus - war zu erwarten, dass der EU-Rat, der in allen bisherigen EU-Rechtsverfahren gegen die Frente Polisario antrat, Berufung einlegen würde. Der Rat tat dies formell am 16. Dezember 2021.
Überraschender ist jedoch, dass die EU-Kommission ebenfalls Berufung eingelegt hat. Die Kommission hat zwei Tage vor dem Rat, am 14. Dezember 2021, Einspruch gegen das Urteil eingelegt. Es ist zwar nicht unüblich, dass die EU-Kommission in Rechtsmittelverfahren des Rates interveniert, aber es kommt sehr viel seltener vor, dass sie ein eigenes Rechtsmittel einlegt. Vertreter:innen der Kommission hatten jedoch angedeutet, dass sie die Möglichkeit dazu prüfen, als sie im Oktober dieses Jahres im EU-Parlament über die neuesten Entwicklungen in dieser Angelegenheit Auskunft gaben.
Die Informationen über die vier Rechtsmittel der Kommission und des Rates wurden diese Woche auf der Website des Gerichtshofs veröffentlicht.
Die Westsahara wird von der UNO als die letzte Kolonie Afrikas betrachtet. Der größte Teil des Territoriums ist seit den 1970er Jahren von Marokko militärisch besetzt.
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