Siemens Energy im Selbstwiderspruch
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Der Vorstandsvorsitzende von Siemens Energy verurteilt die Besatzung der Ukraine, hat aber "nicht das Mandat, zu solchen Fragen politisch Stellung zu nehmen oder einen territorialen Status zu bestätigen" in Bezug auf das besetzte Gebiet der Westsahara, wo das Unternehmen für die marokkanische Regierung tätig ist.

08. Februar 2023

Auf der Jahreshauptversammlung des Unternehmens am 7. Februar 2023 erklärte der Vorstandsvorsitzende Christian Bruch, dass der russische Einmarsch in der Ukraine ein "völkerrechtswidriger Angriffskrieg" sei. Bruch verwies auch auf die wichtigen Äußerungen des Aufsichtsratsvorsitzenden Kaeser, in denen dieser "den Überfall Russlands auf der Ukraine beim Namen genannt hat und den brutal geführten Angriffskrieg auf die Ukraine verurteilt. Wir haben das auch bei früheren Anlässen bereits getan, insofern sind wir da glaube ich klar und deutlich".

In der Westsahara, wo Siemens Energy tätig ist, sieht die Sache jedoch anders aus. 

Siemens Gamesa und Siemens Energy haben in den letzten zehn Jahren Windkraftanlagen für Projekte geliefert, die von einem Privatunternehmen des marokkanischen Königs in der besetzten Westsahara betrieben werden. Die Projekte liefern Energie für Marokkos illegale Exporte von Konfliktmineralien und werden ohne die Zustimmung des Volkes des Gebiets durchgeführt. Das Bild zeigt sahrauische Geflüchtete, die gegen die unethischen Operationen protestieren. Foto von Saharawis Against the Plunder.

Auf die Frage nach der Verantwortung des Unternehmens und ob die Beteiligung von Siemens Energy eine stillschweigende Anerkennung des marokkanischen Anspruchs auf die Westsahara bedeute, antwortete der Vorstandsvorsitzende des Unternehmens: "Wir haben (…) als Siemens Energy und Siemens Gamesa nicht das Mandat, zu solchen Fragen politisch Stellung zu nehmen oder einen territorialen Status zu bestätigen. Diese Angelegenheiten fallen in die Zuständigkeit von Regierungen und internationalen Organisationen."

Noch im Jahr 2020 bezeichnete Siemens Gamesa das Gebiet als "Südmarokko". Diese Bezeichnung ist konträr zur Ansicht der UN, des Internationalen Gerichtshofs, des EU-Gerichtshofs, des Afrikanischen Gerichtshofs für Menschenrechte und Rechte der Völker und auch der deutschen Bundesregierung.

Seit 2020 berufen sich verschiedene Zweige der Siemens-Struktur, die an den Windenergieprojekten in der besetzten Westsahara beteiligt sind, auf ein Rechtsgutachten, das ihr Engagement angeblich als im Einklang mit "anwendbarem Recht, inklusive Völkerrecht" bewertet. 

Bisher hat der Siemens Energy-Konzern keine näheren Angaben zu diesem Rechtsgutachten gemacht, was die Autor:innen, die Aufgabenstellung und die Methodik betrifft, und wird den Text auch nicht zur öffentlichen Einsichtnahme freigeben. Auf der gestrigen Hauptversammlung hielt Siemens Energy an dieser Linie fest und erklärte, dass das Unternehmen das Rechtsgutachten von "einer der renommiertesten globalen Kanzleien" eingeholt habe, ohne den Namen der Kanzlei zu nennen, und fügte hinzu, „Siemens Gamesa veröffentlicht grundsätzlich keine externen rechtlichen Gutachten".

Siemens Energy hat bestätigt, dass der 300-MW-Windpark Boujdour, in dem derzeit Siemens-Gamesa-Turbinen (Siemens Gamesa 3,465 MW - 132 m) errichtet werden, in einigen Monaten betriebsbereit sein wird. Dies deckt sich mit Berichten in marokkanischen Medien von Anfang dieser Woche, in denen beschrieben wird, dass die Inbetriebnahme einer elektrischen Transformationsstation und anderer Installationen im Park es ermöglichen wird, den Windpark noch vor Ende des ersten Quartals dieses Jahres zu starten. Die ersten Kilowattstunden aus den bereits installierten Windturbinen sollen bereits am 31. Januar 2023 angezapft worden sein.

"Mit der Übernahme von Siemens Gamesa trägt Siemens Energy nun auch die volle Verantwortung für den Windpark Boujdour. Seine Komplizenschaft bei der völkerrechtswidrigen Ressourcenausbeutung in der besetzten Westsahara und dem Greenwashing der Besatzung von Seiten Marokkos kann das Unternehmen so kaum mehr von sich weisen. Die grüne Energiewende sollte nicht auf dem Rücken der Sahrauis und zu Gunsten von Firmenprofiten vorangetrieben werden.", erklärte Alida Koos von Western Sahara Resource Watch Germany in einer Pressemitteilung vom 6. Februar

Die Antworten von Siemens Energy waren die Antwort auf eine Teil der untenstehenden Fragen von Emma Lehbib - einer in Deutschland lebenden Sahrauia des Netzwerks Saharauische Diaspora in Deutschland - und von Alida Koos von Western Sahara Resource Watch.


Die bekannte deutsche Umweltaktivistin Luisa Neubauer bezog sich in ihrem Beitrag auf der Hauptversammlung ebenfalls auf die Westsahara und äußerte ihre Besorgnis darüber, dass sich Siemens Energy "um die menschenrechtliche Lage bei Projekten in Westsahara oder Brasilien trotz aller warmen Worte zur ethischen Verantwortung nicht kümmert".

 

 

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