Der Anbau von Obst und Gemüse in der Wüste erschöpft die nicht erneuerbaren Wasserreserven und beschäftigt Tausende von Siedler:innen aus dem benachbarten Marokko.
Western Sahara Resource Watch (WSRW) hat bislang 12 landwirtschaftliche Betriebe in der Nähe der Halbinsel Dakhla in der Westsahara identifiziert. Tomaten und Melonen sind die Hauptanbauprodukte, wobei die für den Export bestimmten Kirschtomaten - mit Erträgen zwischen 80 und 120 Tonnen pro Hektar - den Löwenanteil der Produktion ausmachen. Gegenwärtig bewirtschaften vier große Agrarkonzerne die Plantagen in Dakhla: Rosaflor, Soprofel, Azura und Les Domaines Agricoles. Sie alle sind entweder im Besitz des marokkanischen Königs, mächtiger marokkanischer Konglomerate oder französischer Unternehmen, die ihre Produkte unter den Markennamen Azura, Idyl, Etoile du Sud und Les Domaines Agricoles verkaufen.
Seit 2021 ist bekannt, dass ein paar derselben Firmen auch anfingen, im besetzten Gebiet Blaubeeren zu produzieren.
Marokko hat die Agrarindustrie in der Westsahara zu einer treibenden Kraft für die Besiedlung des Territoriums mit marokkanischen Siedler:innen gemacht. Dass Arbeitskräfte aus Marokko geholt werden bestätigte sogar ein Abgeordneter des marokkanischen Parlaments, der Teilhaber einer Farm in Dakhla ist.
Allein schon wegen des hohen Wasserverbrauchs kann der Betrieb von Landwirtschaft in der Wüste nicht nachhaltig sein. Die unterirdischen Wasserreserven in der Gegend um Dakhla, die zum Wohle der dort lebenden Menschen genutzt werden sollten, werden durch die Agroindustrie ausgebeutet - wie auch durchgesickerte Drahtberichte von US-Diplomat:innen bestätigen.
Die Produkte dieser Betriebe finden sich in Supermärkten in ganz Europa. Mehrere Ketten europäischer Staaten wie etwa der Schweiz, Schweden, Finnland und Norwegen haben jedoch explizite Richtlinien eingeführt, die den Handel mit Agrarprodukten aus der Westsahara ausschließen. Eine Herausforderung für die importierenden Unternehmen besteht darin, dass die in Dakhla produzierten Tomaten auf dem Landweg nach Agadir transportiert werden, wo sie zusammen mit in Marokko angebauten Tomaten für den Export vorbereitet werden.
Das französische Unternehmen ENGIE hat von der marokkanischen Regierung den Auftrag erhalten, eine Entsalzungsanlage für die Industrie zu errichten. Als Rechtfertigung für sein Vorhaben beruft sich ENGIE auf eine umstrittene Studie der Firma Global Diligence.
Seit der Jahrtausendwende boomen die Plantagen in Dakhla. Während zwischen 2003 und 2005 etwa 150 ha landwirtschaftlich genutzt wurde, stieg die Anbaufläche bis 2010-2012 auf 841 ha an. Im Jahr 2016 waren schätzungsweise 963 ha in Betrieb. WSRW hat hierzu den Forschungsbericht "The expansion of plantation infrastructure in occupied Western Sahara 2003-2016" veröffentlicht.
Das Timing dieses ersten landwirtschaftlichen Booms ist bemerkenswert. Der starke Anstieg der Anbauflächen erfolgte zu einer Zeit, als Marokko und die EU über eine Erweiterung des Handelsabkommens zwischen der EU und Marokko verhandelten, die den Handel mit Obst und Gemüse liberalisierte. Die marokkanische Regierung und die beteiligten marokkanisch-französischen Unternehmen hatten scheinbar damit gerechnet, dass das Handelsabkommen zustande kommen würde. Tatsächlich ist die EU der Hauptmarkt für die in Dakhla angebauten landwirtschaftlichen Produkte, wie im WSRW-Bericht "Label and Liability" aus dem Jahr 2012 dokumentiert.
Das Abkommen, das oft als "Agrarabkommen" zwischen der EU und Marokko bezeichnet wird, trat im Oktober 2012 in Kraft. Nur wenige Wochen später, im November 2012, erhob die Vertretung des sahrauischen Volkes, die Frente Polisario, Klage gegen den EU-Rat und forderte die Annullierung des Ratsbeschlusses zum Abschluss des Agrarabkommens mit Marokko. Im Dezember 2016 entschied der Europäische Gerichtshof (EUGH), dass die Westsahara ein von Marokko "gesondertes und unterschiedliches" Territorium sei und dass daher kein Handels- oder Assoziierungsabkommen mit Marokko auf sie angewendet werden könne, ohne die ausdrückliche Zustimmung des Volkes des Territoriums: der Sahrauis.
Das Urteil verärgerte die marokkanische Regierung. Am 6. Februar 2017 veröffentlichte Marokkos Landwirtschaftsminister eine Erklärung, in der er davor warnte, dass jegliche Hindernisse für die Landwirtschafts- und Fischereiexporte seines Landes nach Europa die "Migrationsströme" verstärken könnten, die Rabat mit "anhaltender Anstrengung gesteuert und beschränkte" habe.
Die Europäische Kommission reagierte in eklatanter Missachtung des Urteils des EUGHs und nahm Verhandlungen mit Rabat auf, um die Importe aus der Westsahara im Rahmen des Handelsabkommens zwischen der EU und Marokko zu sichern. Es wurde eine Änderung in das Abkommen eingebracht, welche die Westsahara explizit in den geographischen Geltungsbereich einbezog, ohne dass die Sahrauis darüber gefragt worden waren. Anstatt ihre Zustimmung einzuholen, führte die EU-Kommission eine Konsultation von Vertreter:innen marokkanischer politischer Institutionen und Unternehmen durch. Die Sahrauis sprachen sich sowohl über die Frente Polisario als auch über zivilgesellschaftliche Gruppen gegen das Abkommen aus - was die EU-Kommission dann fälschlicherweise so darstellte, als hätte sie die Sahrauis konsultiert. Im Jahr 2020 veröffentlichte WSRW einen Bericht, der die Erneuerung des Abkommens im Detail darstellt.
Das überarbeitete Handelsabkommen ist nun erneut Gegenstand eines Gerichtsverfahrens vor dem EUGH.
Widerstand gegen die EU-Agrarimporte aus der Westsahara kommt nicht nur von Sahrauis, sondern auch von europäischen Landwirt:innen. Vor allem Landwirt:innen südeuropäischer Länder wie Spanien zeigen sich "besorgt über die Zunahme der Produktionsmengen von Produkten, die aus der Westsahara als marokkanische gekennzeichnet importiert werden. Sie verursachen großen Schaden für die spanischen Erzeuger:innen, da sich diese Mengen mit unseren Produktionsplänen überschneiden und für dieselben Märkte vorgesehen sind."
Der spanische Bauernverband merkte an, dass die Exporte aus der Westsahara nach Europa einen "unfairen Wettbewerb“ darstellen würden „angesichts ihrer niedrigeren Kosten, die auf sehr freizügigen Vorschriften hinsichtlich der Arbeitsbedingungen, der sozialen Absicherung und der Löhne der Arbeiter:innen beruhen, oder hinsichtlich der Anwendung von Pflanzenschutz-, Sicherheits- und Lebensmittelqualitätsvorschriften, etc. Darüber hinaus ist dies auch ein Fall von Betrug für die europäischen Verbraucher:innen, deren Rechte nicht respektiert werden, da sie keine verlässlichen Informationen über die tatsächliche Herkunft des importierten Obstes und Gemüses haben."
Als 2018 im Agrarausschuss des EU-Parlaments ein überarbeitetes Handelsabkommen zwischen der EU und Marokko für landwirtschaftliche Produkte durchgesetzt wurde, stellte der Ausschuss fest, dass ein solches Abkommen mit Marokko nur negative Aspekte für die Landwirt:innen in der EU haben würde - dennoch stimmten sie dafür. Lesen Sie hier mehr über diese seltsame Abstimmung.
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