Antwort der Bundesregierung auf parlamentarische Anfrage bringt Klarheit über den Umfang der an Deutschland im Rahmen des Fischereiabkommens der EU mit Marokko vergebenen Quoten, die faktisch zur Plünderung der Fischbestände der besetzten Westsahara genutzt werden.
(Bild oben: Screenshot vom 05.09.2020 www.marinetraffic.com: Gegenwärtiger Standort des deutschen Hochseefischereischiffes „Helen Mary“ in den Gewässern der Westsahara)
Das neu verhandelte Fischereiabkommen war am 18.07.2019 in Kraft getreten, nachdem der EuGH das vorherige Abkommen ohne Zustimmung des sahrauischen Volkes als ungültig für die Westsahara erklärt hatte (T-180/14). Die Frente Polisario hat am 10.06.2019 beim EuGH gegen das aktuelle Fischereiabkommen Klage eingereicht. Ein Urteil wird 2021 erwartet.
Das laufende Abkommen beinhaltet Fanglizenzen von kleineren spanischen und portugiesischen Schiffen für die Gewässer Marokkos und der Westsahara. Zudem werden Lizenzen an Hochseeetrawler der EU-Flotte vergeben, die in den Jahren 2019 bis 2022 insgesamt 375.000 Tonnen pelagischen Fisch ausschließlich in den Gewässern der südlichen Hälfte der Westsahara fangen dürfen. Dabei werden die Lizenzen zum Fischen auf verschiedene Mitgliedstaaten der EU aufgeteilt.
In einer schriftlichen Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Grünen im Bundestag, die von der Abgeordneten Katja Keul initiiert wurde, gab das Ministerium für Landwirtschaft und Ernährung am 20.08.2020 Auskünfte über den deutschen Anteil am Fischereiabkommen der EU mit Marokko (Drucksache 19/21758).
Demnach wurden 2019 nach erfolgtem Quotentausch mit anderen Mitgliedstaaten 16.524,3 Tonnen pelagischen Fisches von deutschen Schiffen gefangen. Bei einem Warenwert von 0,37 € pro Kilo entspricht dies 6,3 Mio € für den gesamten Fang. 2020 beträgt die (vereinbarte) tatsächliche deutsche Quote 17.734,6 Tonnen. Dies wären noch einmal Fänge im Wert von ca. 6,6 Mio. €. In beiden Jahren wurde die deutsche Quote durch den Quotentausch gegenüber der mit Marokko vereinbarten Basisquote mehr als verdoppelt.
Die tatsächliche deutsche Quote für das Jahr 2019 gibt die Bundesregierung mit 18022 Tonnen an. Diese machen 21,2 % der gesamten im Abkommen vereinbarten Fangmenge für die industrielle pelagische Fischerei in diesem Jahr aus. Damit gehört Deutschland neben Spanien, Portugal, Litauen, Lettland und den Niederlanden zu den EU-Mitgliedstaaten, die hauptsächlich von dem Abkommen profitieren.
Das gesamte Abkommen umfasst für diesen Bereich der Fischerei für die Jahre 2019 bis 2022 Fänge mit einem Warenwert von 138,75 Mio €, legt man den von der Bundesregierung für 2019 angegebenen Warenwert der Außenhandelsstatistik zugrunde.
Die EU lässt sich die Vereinbarung mit Marokko aus politischen Gründen (vor allem der Drohung Marokkos, Geflüchtete nicht vom EU-Grenzübertritt abzuhalten), viel kosten und subventioniert gleichzeitig die Hochseefischerei der EU. So verpflichtet sie sich in dem Abkommen, den Ausbau der Fischerei-Infrastruktur durch einen im Fischereiabkommen vereinbarten „Beitrag zur Unterstützung der Fischereipolitik des Königreichs Marokko“ von insgesamt 77,7 Mio € verteilt auf die vier Jahre der Laufzeit des Abkommens zu fördern. WSRW berichtete über den Ausbau dieses Sektors im Rahmen des vorherigen Fischereiabkommens.
Neben diesem Beitrag zahlt die EU Marokko als „finanziellen Ausgleich für den Zugang von Unionsschiffen“ insgesamt 82,9 Mio € in der Laufzeit des Abkommens. Die Reedereien zahlen zudem für jede gefangene Tonne 110 € direkt an Marokko.
Die Fänge unter deutscher Flagge wurden 2019 ausschließlich in Marokko an Land gebracht. Spätere Einfuhren dieser Fänge in die EU werden nach Aussage der Bundesregierung als aus Marokko importierte Ware geführt. Folglich können Verbraucherinnen und Verbraucher in der EU nicht erkennen, ob die importierten Fischprodukte aus den Gewässern der Westsahara oder Marokkos stammen. Auch die Angaben zu den Fanggebieten lassen keine Rückschlüsse zu, weil das Fanggebiet die Gewässer Marokkos und der Westsahara umfasst (siehe Foto: Beispielangaben einer Sardinenverpackung der Marke BERIDA, 12.10.2018).
Nach Aussage der Bundesregierung wurde die Lizenz 2019 und 2020 nur für jeweils ein Schiff unter deutscher Flagge vergeben. WSRW hatte im Herbst 2019 öffentlich gemacht, dass das Hochseefischereischiff „Helen Mary“ (IMO 9126364) in den Gewässern der Westsahara unterwegs war. Am 31. Januar 2020 wurde dies vom Schiffseigner, der Warnemünder Hochseefischerei GmbH, einem Tochterunternehmen der Doggerbank Seefischerei GmbH, die wiederum zur niederländischen Parlevliet & Van der Plas group gehört, schriftlich bestätigt (siehe hier (167 KB)). WSRW hatte die Reederei seit Oktober 2019 darauf hingewiesen, dass Fischfang in den Gewässern der besetzten Westsahara ohne Zustimmen des sahrauischen Volkes, vertreten durch seine einzige von der UN anerkannte Vertretung Frente Polisario, völkerrechtswidrig ist, die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen voranbringt sowie der Besetzung den Anschein von Legitimität gibt und damit die Aussicht der Sahrauis auf die Erlangung ihres Selbstbestimmungsrechts schmälert. Auf die entsprechenden Fragen ging der Geschäftsführer der Warnemünder- und gleichzeitig der Doggerbanks Reederei, Dr. Uwe Richter, der seit 2009 auch Vorsitzender des Deutschen Hochseefischerei-Verbandes ist, nicht ein.
Die „Helen Mary“ ist nach Beobachtungen von WSRW seit dem 11.06.2020 wieder in den Gewässern der Westsahara auf Fischfang. Recherchen dokumentieren, dass die Helen Mary bereits in den Jahren 2014-2018 vor der Küste der Westsahara gefischt hat.
(Beispiel Screenshot vom 17.06.2020 www.globalfishingwatch.org: Routen der „Helen Mary“ 2. Halbjahr 2015)
Tim Sauer von WSRW betont: „Die Fischbestände der Westsahara werden dem sahrauischen Volk gestohlen. Marokko verkauft der EU im Fischereiabkommen Fanglizenzen in einem Territorium, über das es keine Hoheitsgewalt hat. In Folge erwerben Europäische Reedereien von der EU also "Lizenzen zum Plündern" der Gewässer eines besetzten Gebietes.
Wir fordern die Doggerbank Seefischerei GmbH dringend auf, alle Aktivitäten in den Gewässern der besetzten Westsahara einzustellen, bis deren völkerrechtlicher Status endgültig geklärt ist.“
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