Landwirt im Exil: GLOBALG.A.P. zertifiziert Ungerechtigkeit
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Ein geflüchteter Landwirt aus der Westsahara ist schockiert darüber, dass das deutsche Zertifizierungssystem die marokkanische Landwirtschaft in seinem illegal besetzten Heimatland als nachhaltig einstuft.

03. September 2025

„Marokkanische Betriebe in den besetzten Gebieten erhalten diese GLOBALG.A.P.-Nachhaltigkeitslabels, als wäre nichts geschehen – kein Krieg, kein Exil, keine UN-Resolutionen. Durch die Vergabe von Zertifikaten in diesem Kontext verwandelt GLOBALG.A.P. ein Erbe der Aggression gegen unser Land und unsere Gemeinschaft in ein Bild von Ordnung und Nachhaltigkeit. Das ist Kolonialismus in neuem Gewand“, kommentiert Taleb Brahim gegenüber Western Sahara Resource Watch (WSRW).

WSRW enthüllte letzte Woche, wie das deutsche Zertifizierungssystem GLOBALG.A.P. marokkanische Farmen auf besetztem Land als „verantwortungsbewusst“ kennzeichnet. Nicht nur das: Die ausgestellten Zertifikate ordnen alle Farmen auf dem besetzten Gebiet dem falschen Land zu: Marokko. 

WSRW hat einen Landwirt aus der Westsahara interviewt, der mit ziemlicher Sicherheit niemals eine solche Zertifizierung erhalten wird: den Geflüchteten und Agronomen Taleb Brahim. Da seine Heimat weiterhin unter Besatzung steht, hat Taleb sein Erwachsenenleben der Suche nach Möglichkeiten gewidmet, in der rauen Wüstenumgebung, in der die Menschen der Westsahara seit der marokkanischen Invasion Ende der 1970er Jahre leben müssen, Nahrungsmittel anzubauen.

„Die größte Herausforderung wird immer der Zugang zu Wasser sein, aber auch der Boden hier ist bemerkenswert karg“, erklärt Taleb. In seinem Garten baut er 24 verschiedene Gemüsesorten an, darunter Tomaten, Paprika, Auberginen, Karotten, Rüben und Petersilie.

Taleb ist Vorreiter bei der Entwicklung neuer Techniken für den Gemüseanbau in der kargen, mondähnlichen Landschaft der algerischen Wüste. Sein Traum ist es, ein System zu schaffen, das Flüchtlingsfamilien den Zugang zu frischen, selbst angebauten Lebensmitteln ermöglicht. Seine Versuchsfarm hat bereits internationale Aufmerksamkeit erregt.

Der heute 55-jährige Taleb erinnert sich noch gut an den Tag, an dem er als Kind gezwungen war, die Stadt El Aaiún zu verlassen. „Ich landete in dieser algerischen Wüste und war gezwungen, an einem Ort zu leben, den wir uns nie ausgesucht hatten“, erklärt er. Er sagt, dass er zutiefst frustriert ist, wenn er liest, dass GLOBALG.A.P. die marokkanische Landwirtschaft in der besetzten Westsahara als verantwortungsbewusst beschreibt.

„GLOBALG.A.P. fügt unserer Verletzung noch eine Beleidigung hinzu“, sagt er.

Wie Taleb leben etwa die Hälfte aller Sahrauis als Geflüchtete direkt hinter der Grenze in Algerien. Mit Sommertemperaturen von oft über 50 Grad Celsius und einem gravierenden Mangel an Wasser und Nahrungsmitteln sind sie mit einer extrem schwierigen humanitären Lage konfrontiert. In seinem jüngsten Bericht an den UN-Sicherheitsrat zitierte der UN-Generalsekretär Ernährungsstudien, die Wachstumsstörungen von über 30 Prozent und akute Unterernährung von fast 13 Prozent belegen. 

Seine Landsleute, die in dem von Marokko besetzten Gebiet geblieben sind, leben in einem der politisch am unfreiesten Ländern der Welt

„Die Flüchtlingsfamilien um mich herum sind die wahre Küstengemeinschaft der Westsahara. Wir sind die rechtmäßigen Eigentümer des Landes. Der Boden, auf dem heute die marokkanischen Farmen stehen, wurde während einer militärischen Invasion beschlagnahmt, durch die Zehntausende von uns vertrieben wurden. Diese Realität kann nicht durch Checklisten oder Managementprotokolle, die von einem Zertifizierungsunternehmen überprüft werden, ausgelöscht werden. Wahre Verantwortung bedeutet mehr als nur die Erfüllung der rechtlichen Erwartungen einer Besatzungsmacht. Die Unterstützung marokkanischer landwirtschaftlicher Betriebe, ohne die gewaltsamen Ursachen ihrer Präsenz anzusprechen, legitimiert den Raub unseres Landes. Mit seiner Zustimmung verleiht GLOBALG.A.P. der brutalen marokkanischen Übernahme unseres Landes einen Stempel der Legitimität“, erklärt Taleb.

„Wenn ich das lese, kommen all die Verluste, die wir erlitten haben, wieder hoch. Ich erinnere mich an die schmerzhaften Erinnerungen meiner Mutter und meines Vaters. Als wir flohen, mussten wir meinen älteren Bruder zurücklassen – seitdem habe ich ihn nur einmal gesehen“, sagt er.

Er bezeichnet die Praxis, marokkanischen Unternehmen, die auf dem Land seiner Gemeinde tätig sind, GLOBALG.A.P.-Zertifikate zu erteilen, als „schockierend“.

„Die Zertifikate müssen zurückgezogen werden. Solange das Gebiet unter marokkanischer Besatzung steht, sollten keine solchen Zertifikate ausgestellt werden“, erklärt er.

„Stellen Sie sich ein Szenario vor“, sagt Taleb, „in dem ein Dieb in Ihr Haus einbricht und Ihnen Ihre Rechte verweigert. Ist es vorstellbar, dass der Dieb dann auf ‚verantwortungsvolle‘ Weise Ihr Eigentum plündert, sich in Ihrem Haus niederlässt, Ihre Existenz ignoriert und von Ihrem Exil profitiert? Es macht keinen Sinn, die Landwirtschaft in besetzten Gebieten als ‚verantwortungsvoll’ zu bezeichnen, nur weil die landwirtschaftlichen Betriebe die Gesetze der Besatzungsmacht befolgen oder der Bevölkerung der Besatzungsmacht zugute kommen. Wie kann man „verantwortungsvolle Landwirtschaft“ auf Land zertifizieren, das mit Waffengewalt erobert wurde?“, kommentiert Taleb.

„Erlaubt GLOBALG.A.P. in einem anderen internationalen Kontext Zertifizierungen in einem Gebiet nach den Gesetzen eines anderen Landes?”, fragt er. „Würde es Zertifikate an russische Obstbauern auf der Krim ausstellen? Oder an die Olivenfarmen israelischer Siedler:innen im Westjordanland? Die Nichtdurchsetzung ukrainischer oder palästinensischer Gesetze in besetzten Gebieten ist keine Entschuldigung dafür, russische oder israelische Gesetze über ihre international anerkannten Grenzen hinaus anzuerkennen”, sagt Taleb.

GLOBALG.A.P. hat behauptet, dass es in der Westsahara dieselben Standards anwendet wie in jedem anderen Land der Welt. „Nun, genau das ist doch das Problem, oder?“, sagt Taleb. Er betont, dass die Westsahara nicht einfach nur ein weiteres Land ist. Es handelt sich um ein eigenständiges Gebiet mit international anerkannten Grenzen und einem Volk mit souveränen Rechten – Rechten, die ihm von einer Besatzungsmacht verweigert werden. Infolgedessen können die Sahrauis heute unter der Besatzung ihre eigenen Gesetze nicht durchsetzen. 

„Wie kann man die Einhaltung von Gesetzen in einem besetzten Land genauso behandeln wie die Einhaltung in einem unabhängigen Land? Landwirtschaftliche Betriebe in der Westsahara erhalten GLOBALG.A.P.-Zertifikate, als würden sie auf unumstrittenem marokkanischem Gebiet tätig sein. Doch wir, das Volk der Westsahara, wurden nie um unsere Zustimmung gebeten – und haben diese auch nie gegeben. Eine Zertifizierung ohne die Zustimmung des Volkes des Landes ist keine Validierung, sondern erinnert eher an den Kolonialismus alter Prägung“, sagt er. 

„Das Mindeste, was GLOBALG.A.P. tun kann – das absolute Minimum – ist eine glaubwürdige Aufschlüsselung darüber zu liefern, aus wem diese sogenannten ‚farming communities‘ tatsächlich bestehen. Wurde zu irgendeinem Zeitpunkt versucht festzustellen, ob diese angebliche Gemeinschaft ausschließlich aus illegalen Siedler:innen besteht, die unter Verletzung der Genfer Konventionen in das Gebiet gebracht wurden, oder ob sie auch Menschen aus der Westsahara umfasst?“, sagt er. 

WSRW zitierte eine Erklärung von GLOBALG.A.P. vom April 2025, in der auf einige Schlussfolgerungen des Europäischen Gerichtshofs Bezug genommen wurde.

„Es ist lobenswert, dass GLOBALG.A.P. eine solche Erklärung gegenüber seinen Zertifizierungsstellen abgegeben hat“, erklärt Taleb. „Aber was nun? Es scheint, dass GLOBALG.A.P. lediglich die Verantwortung auf die Zertifizierungsstellen und die landwirtschaftlichen Betriebe selbst abwälzt – also auf Einrichtungen, die alle von der Besatzung profitieren. Es scheint, dass GLOBALG.A.P. kein Problem damit hat, dass die Schlussfolgerungen der Urteile ignoriert werden. GLOBALG.A.P. sollte zeigen, dass der Inhalt der Urteile des EuGH wirklich von Bedeutung ist – das heißt, dass sie keine von Marokko über die Westsahara ausgestellten Lizenzen akzeptieren würden und dass die Zustimmung der Sahrauis eine Voraussetzung ist“, sagt er.

Er merkt auch an, dass GLOBALG.A.P. sich offenbar nicht an die Grundsätze des Urteils des EuGH hält, da alle zertifizierten landwirtschaftlichen Betriebe geografisch im falschen Land angesiedelt sind, was effektiv suggeriert, dass sie sich in Marokko befinden.

„GLOBALG.A.P. argumentiert, dass es, da es hier kein anderes Rechtssystem gibt, das marokkanische Recht für die Konformitätsbewertung heranziehen muss. Nun, nein! Die richtige Alternative für GLOBALG.A.P. ist, überhaupt keine Zertifikate zu vergeben, da die marokkanischen Gesetze irrelevant sind“, erklärt er.

„Jeder Betrieb, der international eine Zertifizierung von GLOBALG.A.P. anstrebt, sollte sich diese Frage stellen. Wenn die Bewirtschaftung von besetztem Land in Übereinstimmung mit den Gesetzen einer Besatzungsmacht akzeptiert wird, was ist dann das GLOBALG.A.P.-Zertifikat wirklich wert? Stellen Sie sich vor, es wäre das Land Ihrer eigenen Familie, das von einer fremden Macht übernommen und anschließend von GLOBALG.A.P. als ‚verantwortungsvoll bewirtschaftet’ eingestuft würde. Stellen Sie sich vor, wie wütend Sie wären“, sagt er.

WSRW hat diesen Artikel am 3. September 2025 an GLOBALG.A.P. zur Stellungnahme geschickt. Frühere Kommentare von GLOBALG.A.P. an WSRW wurden in den Artikel integriert, den WSRW am 29. August veröffentlicht hat.


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