Während die französische Regierung jegliche völkerrechtliche Norm in der Westsahara ignoriert, setzt sie ihre eigenen Unternehmen einem ernsthaften Risiko aus.
Bild: Das französische Unternehmen Olvéa importierte früher Fischöl aus der besetzten Westsahara. Die Einfuhr direkt aus dem Gebiet der Westsahara wurde nach dem Urteil des EuGH 2016 eingestellt. Das Bild zeigt den Vorfall in Key Bay im Januar 2017.
Unternehmen haben die Verantwortung, die rechtlichen und menschenrechtlichen Folgen ihrer Geschäftstätigkeit selbstständig zu bewerten, unabhängig davon, was staatliche Institutionen in ihrem Land dazu sagen.
Dieses Prinzip ist für französische Unternehmen von grundlegender Bedeutung, wenn man die Aufsehen erregenden Äußerungen des französischen Präsidenten Macron zur Westsahara berücksichtigt.
In einer Rede vor dem marokkanischen Parlament am 29. Oktober 2024, während eines dreitägigen Staatsbesuchs, machte der französische Präsident Emmanuel Macron höchst umstrittene Erklärungen. Unter anderem behauptete er, dass die "Gegenwart und Zukunft" der Westsahara unter die "marokkanische Souveränität" fallen. Damit folgt Macron dem Beispiel von US-Präsident Trump, der 2020 als erster Präsident eine solche Erklärung abgab.
Macron versprach außerdem "Investitionen und nachhaltige Unterstützungsinitiativen zum Nutzen der lokalen Bevölkerung" und dass französische Unternehmen "die Entwicklung" der Westsahara unterstützen werden.
"Ich sage es auch hier mit großer Entschlossenheit: Unsere Betreiber und Unternehmen werden die Entwicklung dieser Gebiete durch Investitionen, nachhaltige und unterstützende Initiativen zum Nutzen der lokalen Bevölkerung unterstützen", erklärte Macron. Seine vollständige Rede finden Sie hier (Download hier).
Was ist also der heikle Punkt? Unabhängig von der politischen Agenda der französischen Regierung und den Aussagen Macrons ist die Westsahara nicht Teil Marokkos. Mit anderen Worten: Macrons Bemühungen, französische Unternehmen in das besetzte Gebiet zu drängen, bergen ein ernstes Risiko für die Unternehmen, die auf den Köder hereinfallen könnten.
Macrons Erklärung vor dem marokkanischen Parlament kam nur wenige Wochen, nachdem der Oberste Gerichtshof der Europäischen Union zum zehnten Mal festgestellt hatte, dass die Westsahara ein von Marokko gesondertes und unterschiedliches Gebiet ist, und hinzugefügt hatte, dass Marokko keine Souveränität bzw. Verwaltungsmandat über das Gebiet hat. Darüber hinaus betonte der Gerichtshof, dass das „Volk“ der Westsahara und die "lokale Bevölkerung", auf die sich Macron bezieht, nicht dasselbe sind – das Recht auf Selbstbestimmung liegt beim Volk der Westsahara, nicht bei den derzeitigen Bewohner:innen des Territoriums, die – nach Angaben der EU – zu 75 % Marokkaner:innen sind. Jede wirtschaftliche Vereinbarung, die die Westsahara betrifft, bedarf daher der Zustimmung der Volkes, nicht der Bevölkerung, so das Gericht. Diese Zustimmung kann ausdrücklich erfolgen oder vermutet werden – wenn sehr strenge Bedingungen erfüllt sind.
WSRW hat die wichtigsten Erkenntnisse der Urteile des EU-Gerichtshofs vom 4. Oktober 2024 zur Westsahara in einem Artikel zusammengefasst.
Die französische Regierung versucht nun also mit offenen Augen scheinbar ihr Bestes, um französische Unternehmen als Kanonenfutter in ein Gebiet zu schicken, in dem das humanitäre Völkerrecht verletzt wird.
"Es ist unverantwortlich, dass der französische Präsident solche Aussagen macht, die französische Unternehmen dazu verleiten könnten, in der besetzten Westsahara Geschäfte zu machen, obwohl er genau weiß, dass es für solche Geschäfte keinen soliden Rechtsrahmen gibt. Er setzt französische Unternehmen wissentlich einer Vielzahl von rechtlichen und Reputationsrisiken aus", sagt Erik Hagen von Western Sahara Resource Watch.
"Solange die französische Regierung so offen ihre Distanz zu grundlegenden Prinzipien des Völkerrechts und der Menschenrechte erklärt, ist klar, dass sich französische Unternehmen nicht mehr auf die Rechtsberatung ihrer Regierung verlassen können. Dies untergräbt die Glaubwürdigkeit der französischen Regierung auch bei der Bewertung von Rechtsstaatlichkeit und der Unternehmensführung in anderen Teilen der Welt. Es ist höchst unverantwortlich, die eigenen Unternehmen in einen juristischen Sumpf zu ziehen, nicht nur gegenüber dem sahrauischen Volk, sondern auch gegenüber den französischen Unternehmen", erklärte Hagen.
Die Geschichte der politischen Erklärungen der französischen Regierung wird bald ein neues Kapitel erhalten:
Einer der drei Fälle, die am 4. Oktober in Luxemburg abgeschlossen wurden – die Rechtssache der Kennzeichnung von Fischerei- und Agrarprodukten aus der Westsahara – wird bald wieder vor französischen Gerichten verhandelt. Ursprünglich von einem französischen Landwirt:innenverband vor dem französischen Verwaltungsgericht angestrengt und dann an den EuGH weitergeleitet, ist der "Kennzeichnungsfall" nun zur endgültigen Entscheidung an das französische Gericht zurückverwiesen worden. Das französische Gerichtssystem wird dann praktisch keine andere Möglichkeit haben, als zu bekräftigen, dass die Westsahara auf der Grundlage des Urteils des EuGH einen von Marokko gesonderten und unterschiedlichen Status hat, und zu einem Schluss zu kommen, der den Verstoß von Macrons politischer Unterstützung für die Besatzung und seiner Finanzpakete gegen grundlegende Rechtsprinzipien veranschaulicht.
Macrons Positionierung ging jedoch über bloße Rhetorik hinaus. Der französische Präsident unterzeichnete mehrere Abkommen mit dem marokkanischen Monarchen oder anderen Regierungsbeamt:innen, die Berichten zufolge einen Umfang von 10 Milliarden Euro haben. Eine Aufschlüsselung einer spanischen Zeitung zeigt, dass der Großteil dieses riesigen Investitionspakets in Marokko selbst investiert wird, aber auch in die Westsahara.
Einer der unterzeichneten Verträge konzentriert sich auf eine strategische Partnerschaft im Bereich der Zusammenarbeit im Energiesektor, der Konnektivität und der Energiewende.
Ein weiterer unterzeichneter Vertrag bezieht sich auf grünen Wasserstoff. Vor einem Jahr legte die marokkanische Regierung den Haushaltsgesetzentwurf für 2024 vor, in dem sie große Flächen "öffentlichen Landes" für grüne Wasserstoffprojekte bereitgestellt hatte. Erstaunliche 81 % dieses Landes befinden sich in der besetzten Westsahara. Anfang 2023 kam eine Studie marokkanischer Universitäten zu dem Schluss, dass das größte Potenzial für grünen Wasserstoff in El Aaiún und Dakhla liegt – beide in der besetzten Westsahara. Das erste Unternehmen, das mit den im Rahmen des marokkanischen Haushaltsgesetzes geplanten Projekten in Verbindung gebracht wurde, war das französische Unternehmen HDF Energy, das ein 8-GW-Produktionsprojekt mit einer Stromversorgung aus 17 GW erneuerbarer Energie anstrebte. Um seine Position zu verteidigen, verwendet HDF Energy eine politische Argumentationslinie, die der von Macron ähnelt.
Beobachter haben festgestellt, dass Macrons Besuch dazu diente, die diplomatischen Beziehungen zu Marokko zu verbessern, nachdem es in den letzten Jahren aufgrund einer Reihe von Themen zu Spannungen gekommen war. Unter diesen Themen waren Migration, die angebliche Beteiligung Marokkos am Einsatz der Spionagesoftware Pegasus gegen den französischen Präsidenten, Macrons Versuch einer Annäherung an Algerien und die aus marokkanischer Sicht zweideutige Haltung Frankreichs zur Westsahara.
Im Zusammenhang mit dem Staatsbesuch Macrons in Marokko wurde auch eine Erklärung auf der Website der französischen Regierung veröffentlicht.
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