Siemens Energy ist unter den multinationalen Konzernen, die Berichten zufolge Interesse bekundet haben, Marokko beim Transport von in der besetzten Westsahara erzeugtem Strom in sein Staatsgebiet zu unterstützen.
Die marokkanische Nationale Elektrizitätsbehörde (ONEE) hat fünf große multinationale Unternehmen benannt, die ihre Bewerbung für die 3-GW-Stromtrasse eingereicht haben, die die in der besetzten Westsahara erzeugte Energie nach Marokko transportieren soll. Dies berichten marokkanische Medien, die die folgenden Unternehmen als Teil der ONEE-Ankündigung aufführen: GE Vernova (USA), Siemens Energy (Deutschland), Power China Sepco1 (China), TBEA (China) und Larsen & Toubro (Indien).
ONEE gab die Namen bekannt, nachdem die Bewerbungsunterlagen für die Planung, Beschaffung und den Bau (Engineering, Procurement and Construction, EPC) des sogenannten "Electric Highway" veröffentlicht worden waren. Die Frist für die Ausschreibung endete am 12. November 2024. Zu diesem Zeitpunkt war die Deadline bereits sechs Mal verschoben worden.
Das Projekt umfasst eine 1.400 km lange Übertragungsleitung, die das südlich in der besetzten Westsahara gelegene Dakhla mit Casablanca, der größten Stadt Marokkos und dessen Wirtschafts- und Geschäftszentrum, verbinden soll. Der ursprüngliche Plan, über den WSRW im November letzten Jahres berichtete, sah vor ein Fertigestellung der halben geplanten Kapazität, also 1.500 MW, für das Jahr 2026 vor, während die zweite Hälfte im Jahr 2028 in Betrieb gehen sollte.
WSRW hat alle genannten Unternehmen kontaktiert, um eine Bestätigung diser Behauptungen der marokkanischen Medien zu erhalten. Wir haben außerdem gefragt, wie sie die rechtlichen Aspekte eines Projekts einschätzen, das in der besetzten Westsahara erzeugte Energie in das wirtschaftliche Kernland des Besatzungsstaats Marokko transportieren soll.
Bisher hat nur Siemens Energy geantwortet und erklärt, dass das Unternehmen "noch keinen Antrag gestellt, sondern nur Interesse bekundet hat". Siemens Energy gab an, den spezifischen Rechtsrahmen für jede Geschäftsentscheidung zu prüfen, "insbesondere im Hinblick auf die Rechtsprechung der höchsten Gerichte", und bezog sich dabei auf die inzwischen zehn Urteile des EU-Gerichtshofs zur Westsahara, die alle zu dem Schluss kommen, dass das Gebiet nicht zu Marokko gehört. Das Unternehmen scheint diese Urteile jedoch völlig misszuverstehen, da es erneut betont, wie seine Projekte in der Westsahara der "lokalen Bevölkerung" zugutekommen. Der EU-Gerichtshof hat klargestellt, dass es einen Unterschied zwischen dem Volk der Westsaharara und der Bevölkerung des Gebiets gibt. Die Hoheitsrechte über das Gebiet – einschließlich des Zustimmungsrechts und in zweiter Linie des Rechts auf Nutzung – liegen beim Volk des Gebiets, das das Recht auf Selbstbestimmung innehat. Die Mehrheit dieses Volkes ist nach der Invasion und Annexion Marokkos aus dem Gebiet geflohen, und marokkanische Siedler:innen machen heute die Mehrheit der Bevölkerung – der lokalen Bevölkerung – aus, die in dem Gebiet lebt. Diese "lokale Bevölkerung" profitiert von den Aktivitäten von Siemens in dem Gebiet, nicht das sahrauische Volk.
WSRWs Briefe: GE Vernova (USA), Siemens Energy (Deutschland), Power China Sepco1 (China), TBEA (China) und Larsen & Toubro (Indien).
"Dieses Giga-Kabel stellt ein erhebliches Problem für die legitimen Rechte der Sahrauis dar. Sie wollen ganz klar nicht, dass es gebaut wird, da es dazu führen wird, dass Marokko noch stärker von der auf ihrem Land produzierten Energie abhängig wird. Unternehmen, die sich an marokkanischen Projekten in der besetzten Westsahara beteiligen wollen, sollten sich der potenziellen Reputations- und Rechtsrisiken im Zusammenhang mit solchen Vorhaben bewusst sein", erklärte Sara Eyckmans von Western Sahara Resource Watch.
Sie betonte, dass dies auch eine Herausforderung für diejenigen Staaten darstelle, die eine Partnerschaft mit dem marokkanischen Energiesektor in Betracht ziehen, aber vermeiden wollen, in die völkerrechtswidrige Besetzung Marokkos verwickelt zu werden.
Die UNO betrachtet die Westsahara als ein Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung und ohne zugewiesene Verwaltungsmacht. Der Internationale Gerichtshof hat Marokkos Anspruch auf das Gebiet für null und nichtig erklärt, was in einer Reihe von EuGH-Urteilen, die sich im Laufe des letzten Jahrzehnts entwickelt haben, bestätigt wurde. Der Oberste Gerichtshof der EU ist zu dem Schluss gekommen, dass die Westsahara von Marokko gesodert und unterschiedlich ist und dass Marokko keine Souveränität oder Verwaltungsvollmacht über das Gebiet hat. Daher hat der Gerichtshof die Anwendung der Handels-, Fischerei- und Luftverkehrsabkommen zwischen der EU und Marokko in der Westsahara für nichtig erklärt, da sie in dem Gebiet ohne Zustimmung des Volkes des Gebiets und unter Missachtung ihres Rechts auf Selbstbestimmung angewendet wurden. Der Gerichtshof hat die von den Vereinten Nationen anerkannte Vertretung des Volkes der Westsahara, die Frente Polisario, als berechtigt anerkannt, im Namen des sahrauischen Volkes vor den EU-Gerichten zu klagen.
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