Siemens Energy missinterpretiert EUGH-Urteile
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Der deutsche multinationale Konzern, der marokkanische Energieprojekte im besetzten Gebiet der Westsahara beliefert, versteht die diesbezüglichen EU-Gerichtsurteile nicht. 

07. April 2025

Foto: Siemens-Windräder werden von Motril, Spanien, in die besetzte Westsahara verschifft.

Auf seiner Jahreshauptversammlung am 20. Februar 2025 versuchte Siemens Energy, die Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) als Rahmen für seine Geschäftstätigkeit in der Westsahara darzustellen.

Das Unternehmen hat im Laufe der Jahre Windräder für mehrere Energieprojekte der marokkanischen Staates in dem besetzten Gebiet geliefert. Anstatt jedoch die Auswirkungen dieser Urteile vollständig anzuerkennen, scheint das Unternehmen selektiv Aspekte hervorzuheben, die sein anhaltendes, umstrittenes Engagement in der Westsahara rechtfertigen sollen.

„Die Projekte, für die Siemens Energy Technologiekomponenten geliefert hat, dienen der Elektrifizierung der Westsahara und kommen somit der gesamten Bevölkerung zu Gute. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil festgestellt, dass die Tatsache, dass auch die übrige Bevölkerung in der Westsahara von den Vorteilen profitiert, grundsätzlich unschädlich ist. Das Urteil verdeutlicht jedoch, dass die Vorteile stärker auf die Lebensumstände der sahrauischen Bevölkerung, die auch außerhalb der Westsahara angesiedelt sein können (sic), abgestimmt werden müssen. Dies werden wir bei zukünftigen Entscheidungen berücksichtigen.“, erklärte Christian Bruch, CEO von Siemens Energy, auf der Jahresversammlung.

Siemens Energy scheint andeuten zu wollen, dass eine bloße Anpassung der Vorteile an die Lebensbedingungen der Sahrauis ausreichen würde, um das Völkerrecht einzuhalten. Dabei wird die wichtigste Schlussfolgerung der EuGH-Urteile übersehen: Das Recht der Sahrauis auf Selbstbestimmung muss respektiert werden. Daher muss das Volk der Westsahara Vereinbarungen oder Verträgen zustimmen, die das Gebiet betreffen. Diese Zustimmung sollte ausdrücklich erfolgen, kann aber auch vermutet werden, wenn eine Reihe strenger Bedingungen erfüllt sind.

Siemens scheint das Konzept der vermuteten Zustimmung in Bezug auf seine Geschäftstätigkeit in dem Gebiet anwenden zu wollen, allerdings auf sehr enge und selektive Weise. Das Unternehmen scheint zu suggerieren, dass das Geschäft wie gewohnt weiterlaufen kann, wenn es den Sahrauis einige Vorteile bieten kann.

Aber so hat der Oberste Gerichtshof der Europäischen Union die vermutete Zustimmung nicht definiert.

Erstens dürfen dem Volk der Westsahara keine Verpflichtungen geschaffen werden. Und zweitens muss dem sahrauischen Volk – was nicht mit der Bevölkerung des Territoriums gleichzusetzen ist – aus der Nutzung der natürlichen Ressourcen des Gebiets ein präziser, konkreter, substanzieller und überprüfbarer Vorteil erwachsen, der in angemessenem Verhältnis zum Ausmaß der Nutzung steht.

Um Missverständnissen vorzubeugen, hat WSRW einen Brief an Siemens Energy gesendet, in dem die Integrität der Aussagen des Unternehmens und sein Engagement für die Einhaltung internationaler Rechtsstandards in Frage gestellt werden.

Im aktuellen Kontext der Besatzung erfordert die Anwendung der vermuteten Zustimmung, dass die marokkanische Regierung den gesonderten und unterschiedlichen Status der Westsahara und das Recht ihres Volkes auf Selbstbestimmung anerkennt. Darüber hinaus müsste Marokko akzeptieren, dass es in Bezug auf Projekte in der Westsahara nur eine administrative Rolle spielen kann, um die Rechte des sahrauischen Volkes zu wahren, aber nicht in seiner souveränen Eigenschaft handeln kann – welche es in Bezug auf das Gebiet nicht hat.

Dies ist derzeit nicht der Fall. Marokko wird die Verwaltungsaufgaben nicht übernehmen, welche den Sahrauis nicht auferlegt werden können, da sie große Teile des Gebiets nicht kontrollieren. Marokko sieht sich selbst als souveräne Macht in seinen „südlichen Provinzen“ in dem Gebiet und erkennt das Recht des sahrauischen Volkes auf Selbstbestimmung nicht an. In diesem Zusammenhang scheint es praktisch unmöglich, den Sahrauis einen „präziser, konkreter, substanzieller und überprüfbarer Vorteil“ zu bieten, wie der EU-Gerichtshof entschieden hat, und gleichzeitig Marokko davon zu überzeugen, ein Projekt auf diese Weise durchzuführen.

„Um es klar zu sagen: Bei diesem Thema geht es nicht um die Umverteilung von Vorteilen – es geht um die Achtung des Rechts auf Selbstbestimmung. Siemens Energy muss sich bei allen aktuellen und geplanten Aktivitäten in der Westsahara direkt mit dem sahrauischen Volk auseinandersetzen und sicherstellen, dass dieses den Projekten zustimmt und dass diese Projekte ihm präzise, konkrete, substanzielle und überprüfbare Vorteile bringen“, schrieb WSRW an Siemens Energy.

Seit über einem Jahrzehnt sind verschiedene Unternehmen der Siemensfamilie (Siemens AG, Siemens Gamesa Renewable Energy, Siemens Energy) in der Westsahara tätig, ohne die Zustimmung der Sahrauis einzuholen. Deren Einwände werden seit jeher ignoriert, stattdessen behauptet der Konzern, dass die Projekte dem Gebiet zugutekommen. Die Frente Polisario – die von den Vereinten Nationen anerkannte Vertreterin des Volkes der Westsahara und vom EuGH als juristische Person mit Klagebefugnis vor EU-Gerichten zur Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts des sahrauischen Volkes anerkannt – hat die Aktivitäten von Siemens Energy in dem Gebiet ausdrücklich verurteilt.

Neben der Belieferung marokkanischer Windenergieprojekte in dem Gebiet hat Siemens Energy laut der marokkanischen Regierung auch seine Kandidatur für die Ausschreibung der sogenannten „Stromautobahn“ eingereicht, die die von den Windparks in dem besetzten Gebiet erzeugte Energie nach Marokko liefern soll.

Eine Niederschrift der Fragen von WSRW und dem Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre sowie der Antworten des Vorstands von Siemens Energy während der Hauptversammlung 2025 finden Sie hier.

WSRW schrieb am 06.03.2012, 19.06.2012, 03.07.2013, 26.09. 2016, 07.12.2017 an Siemens AG, und bekam Antworten am 10.05.2012, 10.10.2016, 08.01.2018. WSRW schrieb Siemens Gamesa am 01.10.2018 und 20.08.2021. Siemens Gamesa antwortete WSRW am 16.11.2018, 24.04.2020, 07.04.2021 und 27.09.2021. WSRW schrieb Siemens Energy am 18.02.2021, 30.11.2023 und 20.11.2024. Siemens Energy antwortete am 23.03.2021 und 03.12.2024. Siemens Energy wurde in dieser Angelegenheit auf den Hauptversammlungen bereits in den Jahren 2021, 2022, 2023 und 2024, Siemens Gamesa auf den Hauptversammlungen in den Jahren 2022 und 2023 und die Siemens AG auf den Hauptversammlungen in den Jahren 2017, 2018 und 2020 mit dieser Angelegenheit konfrontiert.


 

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