Um den Zustrom marokkanischer Siedler:innen zu verstärken und das Territorium zu "entwickeln", hat Marokko große Infrastrukturprojekte durchgeführt, um die das sahrauische Volk aber nie gebeten hat.
Das sahrauische Volk ist heute eine Minderheit in der Westsahara, und viele von ihnen leben geflüchtet im Ausland. Der vom marokkanischen Staat betriebene massive Ausbau der Infrastruktur richtet sich jedoch an keine dieser beiden Gruppen. Der eigentliche Zweck seiner Großprojekte in der Westsahara besteht darin, die weitere Ansiedlung marokkanischer Staatsbürger:innen zu erleichtern.
Energieimporte
Die Besatzungswirtschaft, die marokkanischen Großindustrien und Streitkräfte sind alle von Energieimporten abhängig, hauptsächlich in der Form von Erdöl und -gas.
Erdölprodukte werden vor allem aus Raffinerien in Spanien importiert. Der kontinuierlichen Beobachtung durch WSRW zufolge werden diese Produkte in etwa 160 Transporten pro Jahr in die Häfen von El Aaiún und Dakhla gebracht. WSRW hat diese Lieferungen zu einer Handvoll Exporthäfen in Spanien zurückverfolgt, hauptsächlich Carteya-Guadarranque bei Gibraltar und Cartagena, vermutlich exportiert von CEPSA und Repsol. Die Erdölprodukte werden an Bord einer internationalen Flotte von Tankschiffen transportiert, wobei eine Handvoll Unternehmen langfristige Transportverträge besitzt. Am meisten beteiligt ist das französische Unternehmen Sogestran. In den Jahren 2014 und 2017 veröffentlichte WSRW Berichte über die Beteiligung von Wisby Tankers und die Relevanz der Erdölimporte für Marokkos Kontrolle über die Westsahara. Einen Überblick über diesen speziellen Handel hat WSRW im Jahr 2020, 2021, 2022, 2023 und 2024 veröffentlicht.
Das Gas wird in verflüssigter Form importiert (LPG). Die Endabnehmer:innen sind höchstwahrscheinlich größere Industrieanlagen. WSRW veröffentlichte Jahresübersichten über die Gasimporte in das Gebiet in den Jahren 2020, 2021, 2022, 2023 und 2024. In der Vergangenheit kam das Gas von Terminals in Spanien, ab Ende 2019 scheinen die spanischen Exporte jedoch gestoppt und weitgehend durch Exporte aus anderen Ländern ersetzt worden zu sein. Exportierende Unternehmen in Schweden und Norwegen haben erklärt, dass sie sich nicht an den Gasexporten in die Westsahara beteiligen wollen. Die Gasexporte kommen seit 2020 vor allem aus Frankreich, Großbritannien, den Niederlanden, Portugal und sogar aus den USA.
Zementindustrie
In der besetzten Westsahara gibt es derzeit drei Zementfabriken. Für den Bau jeglicher Infrastruktur der marokkanischen Regierung, des Militärs und der Zivilbevölkerung ist Zement unabdingbar. Der deutsche Konzern HeidelbergCement kontrolliert über seine Tochtergesellschaft Ciments du Maroc zwei der Fabriken - das CIMAR- und das CIMSUD-Werk. Bauabschluss und Inbetriebnahme des letztgenannten Werks durch ThyssenKrupp war laut des Unternehmens im Jahr 2019.
Andererseits gab das Schweizer Unternehmen Holcim (früher LafargeHolcim) die Fertigstellung eines Mahlwerks mit einer Kapazität von 200.000 t pro Jahr in El Aaiún bekannt. Der bei der Produktion verwendete Klinker wird aus Portugal importiert.
Elektrizität
Die besorgniserregendste Entwicklung betrifft den Bau von Wind- und Solarparks auf besetztem Territorium.Die am stärksten involvierten Unternehmen in diesem Sektor sind Siemens Gamesa, Enel, Engie und General Electric. Das französische Unternehmen VINCI sollte ab 2021 eine Hochspannungsleitung bauen, die für den Anschluss der lokalen Produktion an das marokkanische Netz entscheidend ist.
Darüber hinaus haben sich internationale Unternehmen große Aufträge für die Strominfrastruktur gesichert, wie z.B. Larsen & Toubro in der Nähe von Dakhla. Im Jahr 2014 berichtete WSRW über eine sahrauische Familie, deren Land für die von Alstom (jetzt General Electric) gebaute Strominfrastruktur in Beschlag genommen wurde. Das finnische Unternehmen Wärtsilä hat Ausschreibungen für dieselbetriebene Kraftwerke in Dakhla gewonnen.
Transport und Kommunikation
Groß angelegte Überlandtransporte von hauptsächlich Fischereiprodukten finden auf oft anonymen LKWs statt, die zwischen den Fischereihäfen von Dakhla/El Aaiún auf der einen Seite und den Häfen in Marokko bzw. Mauretanien auf der anderen Seite hin und her fahren.
Für den Export verschiedener Produkte, wie Phosphat, Sand, Fischmehl und Fischöl, werden verschiedene Schiffsflotten eingesetzt. Im Jahr 2020 veröffentlichte WSRW eine erste Studie über die Flotte, die gefrorenen Fisch aus den Gewässern vor der Küste der Westsahara transportiert, sowie über die Flotten, die für den Import von Gas und Erdölprodukten in das Territorium genutzt werden. 2019 eröffnete die französische Unternehmen CMA CGM eine Linie für den Containertransport von Dakhla nach Spanien.
Nur wenige Fluggesellschaften operieren in der besetzten Westsahara. Am stärksten beteiligt ist die staatliche marokkanische Fluggesellschaft Air Maroc. Aber auch Konzerne wie Binter Canarias, Air Arabia und KLM/Air France und deren Tochtergesellschaft Transavia waren in den letzten Jahren daran beteiligt.
2021 und 2024 verlegte die französische Firma Alcatel Submarine Networks SpA, die sich teilweise im Besitz von Nokia befindet, Telekommunikationskabel in Dakhla. Die vorbereitenden Studien des Meeresbodens wurden von der holländischen Firma Fugro durchgeführt.
Banken und Versicherungen
Eine Reihe ausländischer Banken hat sich in den besetzten Gebieten der Westsahara niedergelassen, überwiegend in marokkanischer und französischer Hand. Die meisten von ihnen behaupten offen, dass die Westsahara zu Marokko gehört. Western Union und DHL haben ebenfalls Büros in dem Territorium.
Versicherungen für den Schiffsverkehr sind von besonderer Bedeutung. Über die Versicherungen der Phosphatfrachter wird in unserer jährlichen WSRW-Berichtsserie P for Plunder berichtet.
Tourismus
Die meisten im Tourismussektor tätigen Unternehmen sind eher klein. Die besorgniserregendste Entwicklung betrifft die Kitesurf-Tourismus in der Stadt Dakhla. Rucksacktourist:innen, Kite- und Surfsportler:innen aus der ganzen Welt sind Teil dieses wachsenden Wirtschaftszweigs, der genau wie alle anderen die illegale Beschäftigung 'normalisiert'. Einige der Kite-Websites weisen Dakhla als Reiseziel „in Marokko“ aus.
Ebenso listen AirBnB, Booking.com und Tripadvisor Orte in der Westsahara als in Marokko befindlich auf.
Hafenbetrieb
Die beiden wichtigsten Häfen in der Westsahara - die in El Aaiún und in Dakhla - werden durch die von der marokkanischen Regierung kontrollierten Firma Société d'Exploitation des Ports SA (oder Marsa Maroc) betrieben. Durch diese an der Börse von Casablanca notierte Firma werden die Ressourcen des Territoriums geplündert. Marokkos nationale Hafenstrategie 2030 sieht große Investitionen in der Westsahara vor, insbesondere für den Hafen Dakhla. Einige der umstrittenen Hafenprogramme Marokkos wurden dabei mit EU-Steuergeldern finanziert.
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Die beiden spanischen Unternehmen, die praktisch das gesamte Erdöl in die besetzte Westsahara exportieren, halten sich weiterhin bedeckt.
Als sie HeidelbergCement um Antworten auf Menschenrechtsfragen im Zusammenhang mit seinen Aktivitäten in der besetzten Westsahara bat, wurde der Sahraui Khadja Bedati mitgeteilt, dass das Unternehmen "bewusst Sozialsponsoring für verschiedene Sportvereine betreibt".
Das schwedische Schifffahrtsunternehmen Wisby Tankers AB betreibt einen umstrittenen Handel: es ist führend in der Versorgung der besetzten Westsahara mit Erdöl.
Siemens Energy ist unter den multinationalen Konzernen, die Berichten zufolge Interesse bekundet haben, Marokko beim Transport von in der besetzten Westsahara erzeugtem Strom in sein Staatsgebiet zu unterstützen.